Wenzel Der Schrei III, 2024
Der Kunstparcours
Der Schrei III, 2024
Auf der Straße gefundene Objekte, schreien manchmal förmlich danach von mir mitgenommen zu werden.
EDUCATION
Studium / Meisterschüler Freie Bildende Kunst, Städelschule – Staatliche Hochschule für bildende Künste, Frankfurt am Main
GRANTS, AWARDS, RECOGNITION
2017 Hessische Kulturstiftung, Reisestipendium, Ghana
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Ein Blick hinter das Werk
An einer 2,35 Meter langen grünen Stahlstange befestigt, schwebt in 15 Meter Höhe ein gelbes, durchlöchertes Rechteck vor einer Backsteinwand. Gesichtslos, stumm, wirkt es, als blicke es auf die PassantInnen herab und schreie.
Bei dem wetterfesten Objekt handelt es sich um eine vergrößerte 3-D-Druck-Version eines Designklassikers, dem Eames Armchair. Martin Wenzel fand ihn bei einem Spaziergang zu seinem Atelier, er lag auf dem Gehweg. Die Sitzfläche des objet trouvé war demoliert, für den Alltag unbrauchbar wurde das Fundstück zur Inspirationsquelle für Wenzel. In seinem Atelier verlieh er dem Stuhl mit einer gebogenen Stahlstange eine neue Funktion: Er verwandelte ihn in ein Kunstobjekt, das an der Wand befestigt wurde und von nun an in der Luft schwebt.
Wie einst Edvard Munch bei einem Spaziergang zu seinem weltberühmten Gemälde Der Schrei inspiriert wurde, so war auch bei Wenzel das ziellose Flanieren Auslöser der künstlerischen Auseinandersetzung. Munch beschrieb seine Inspiration mit den Worten:
„Ich ging mit zwei Freunden die Straße entlang, die Sonne ging unter, der Himmel wurde plötzlich blutrot […] ich fühlte, wie ein großer, unendlicher Schrei durch die Natur ging.“
Nicht der Schrei einer Person stand für Munch im Zentrum, sondern ein existenzielles Gefühl, das sich in der Natur spiegelte, eine emotionale Wahrnehmung zwischen innerer und äußerer Realität. Der Schrei wurde zur Ikone einer Gesellschaft im Umbruch, gezeichnet von Angst, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Themen, die auch unsere Gegenwart prägen: Klimakrise, Kriege, digitale Überforderung und die Angst vor Kontrollverlust. Wenzels Werk scheint damit aktueller denn je.
Der Künstler versteht Schrei Drei als Weiterführung bzw. Umformulierung des Motivs. Wie Munch mehrere Versionen seines Bildes anfertigte, schuf auch Wenzel verschiedene Ausführungen seiner Skulptur. Der Schrei kann heutzutage als eine Art Emoji verstanden werden, ein Gesicht aus der digitalen Kommunikation, das mit wenigen Zeichen starke Emotionen transportiert.
Schrei Drei, wetterfest für das Union-Areal umgesetzt, zitiert das verängstigte WhatsApp-Emoji als Symbol für ein weit verbreitetes Empfinden: die ständige Erreichbarkeit über das Mobiltelefon, die damit einhergehende Flut an schlechten Nachrichten und die emotionale Überforderung trotz häufiger geografischer Distanz.
Wenzel macht aus einem weggeworfenen Stuhl ein monumentales Zeichen; ein stummer Schrei im öffentlichen Raum, der die heutigen zivilisatorischen Abgründe offenzulegen vermag.
Über die Künstler:in
Der Künstler Martin Wenzel (*1979 in Offenbach) studierte Produktgestaltung an der HfG (Hochschule für Gestaltung) in Offenbach am Main und Bildhauerei an der Frankfurter Städelschule bei Tobias Rehberger. Sein interdisziplinärer Ansatz führt zu einem vielfältigen Materialeinsatz, der Alltagsgegenstände transformiert und sie in räumliche Strukturen und unerwartete Zusammenhänge bringt. Zuletzt mündeten sie in Designobjekte. Wenzel erhielt zahlreiche Stipendien, darunter das DAAD-Stipendium, das ESDI in Rio de Janeiro sowie das der Hessischen Kulturstiftung. Seine Werke befinden sich in Sammlungen, u. a. in der Walther Collection, New York.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt