Jabbari Shore Zadeh, 2024
Der Kunstparcours
Shore Zadeh, 2024
Manchmal wird nicht erzählt, was geschehen ist, aber seine Oberfläche speichert Salz, wie eine Landschaft nach der Flut. Was züruckbleibt, ist keine Erinnerung, nur ein Abdruck der Abwesenheit.
EDUCATION
M.A., Freie Kunst, HfG (Hochschule für Gestaltung), Offenbach am Main
GRANTS, AWARDS, RECOGNITION
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Ein Blick hinter das Werk
Wunderschöne, kleinteilige mosaikartig zusammengesetzte Keramikkacheln in blauer, türkiser Farbe und grauen Schriftzügen wurden von der iranischen Künstlerin in Handarbeit über vier Monate zu einem monumentalen Schriftbild für das Union-Areal erarbeitet. Der Titel Shore Zadeh, wörtlich „salzverkrustet“ oder „Salzspur“, beschreibt eine Oberfläche, auf der das Wasser längst verdunstet ist und nur das Salz als stille Erinnerung zurückbleibt. Diese feinen Spuren verweisen auf etwas Vergangenes, ohne es direkt zu erzählen. Sie markieren den Abdruck einer Abwesenheit, das Sichtbarwerden dessen, was nicht mehr da ist. In dieser Spannung zwischen Erinnerung und Leere, zwischen Präsenz und Verlust entfaltet sich die inhaltliche und formale Tiefe der Arbeit.
Die Kachelfragmente erscheinen zugleich fragil und widerständig. Ihre Oberflächen tragen Spuren von Glanz und Mattheit, von Zerstörung und Erneuerung. Es sind Stücke, die an Mauern, Körper oder Landschaften erinnern, ohne sie konkret darzustellen. Abstraktionen des Erlebten, Metaphern des Entfremdeten. Ihre Lebendigkeit entsteht gerade aus dem, was gebrochen oder beschädigt scheint. Jede Bruchkante, jede Unregelmäßigkeit wird Teil eines größeren Rhythmus aus Material und Bedeutung.
Auch die Leerstellen zwischen den einzelnen Fragmenten sind zentral. Sie bilden keine bloßen Zwischenräume, sondern Zonen der Resonanz: Orte, an denen sich Erinnerung, Bewegung und Wahrnehmung überschneiden. Die Arbeit lebt vom Wechselspiel zwischen Objekt und Abstand, zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. So wird die fragmentierte Fläche selbst zu einem Ort der Bewegung, in dem das Betrachten zu einem körperlichen, fast suchenden Akt wird. Diese Idee setzt sich in der räumlichen Situation des Union-Areals fort: Zwei Säulen versperren den direkten Blick auf die Wandarbeit, wodurch das Werk niemals von einem einzigen Standpunkt aus vollständig zu erfassen ist. Das Publikum ist aufgefordert, sich zu bewegen, den Standort zu verändern und immer neue Ausschnitte zu entdecken. Damit wird das Sehen selbst zum Prozess. Ein Moment, der aus Sicht der Künstlerin an Anna Boghiguians Gedanken „die Mauer nicht für die Einschränkungen, sondern für die Bewegung“ erinnert. Der architektonische Raum wird hier nicht als Grenze, sondern als dynamische Struktur erfahrbar, in der Wahrnehmung, Körper und Denken miteinander in Beziehung treten.
Das Material spielt dabei eine zentrale Rolle. Die verwendete Glasur, ursprünglich matt, wurde in einem experimentellen Prozess zum Glänzen gebracht, ein Effekt, den die Künstlerin hier erstmals einsetzte. Dieses unvorhersehbare Aufleuchten verleiht der Oberfläche eine schwebende Qualität, in der Licht, Tiefe und Illusion miteinander verschmelzen. Der Gegensatz zwischen matt und glänzend wird zu einem Symbol für den trügerischen Charakter von Erinnerung und Hoffnung, wie ihn der iranische Dichter Mehdi Akhavan-Sales in seinem Gedicht Winter beschreibt und der im Kunstwerk aufgegriffen wird:
das Licht, das den Morgen verspricht, aber täuscht, ein Schein, der keine wahre Erneuerung bringt.
In Shore Zadeh begegnen sich so poetische, politische und materielle Ebenen. Die Arbeit verbindet architektonische Struktur, literarische Bezüge und keramische Oberflächen zu einer stillen, vieldeutigen Erzählung. Sie spricht von der Brüchigkeit des Erinnerns, von der Schönheit des Unvollständigen und vom Widerhall des Vergangenen in der Gegenwart. Was bleibt, ist keine konkrete Erinnerung, sondern der Abdruck einer Abwesenheit. Ein salziger Schleier auf der Oberfläche der Objekte, der das Unsichtbare spürbar macht.
Über die Künstler:in
Die Künstlerin Raha Jabbari (*1993 in Qom, IRN) studiert seit 2021 Freie Kunst an der HfG (Hochschule für Gestaltung) in Offenbach am Main. Für die Stadt Isfahan hat sie für das Kunst-am-Bau-Projekt „Beruhigungsland“ eine 250 Quadratmeter große Wandinstallation aus Keramik, Stein und Metall sowie eine 100 Quadratmeter große Wandmalerei gestaltet. Im Rahmen der Afip! Akademie hat sie für interdisziplinäre Prozesse mit Stareh Alipour das Projekt „57 Kacheln“ realisiert. 2024 erhielt Raha Rabari für ihre künstlerischen Arbeiten das Deutschlandstipendium.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt