Schmid Anton
Hoffnungsträger
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Steckbrief

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Ich habe ja nur Menschen gerettet.
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Wenn jeder anständige Christ auch nur einen einzigen Juden zu retten versuchte, kämen unsere Parteiheinis mit ihrer Lösung der Judenfrage in verdammte Schwierigkeiten. Unsere Parteiheinis könnten ganz bestimmt nicht alle anständigen Christen aus dem Verkehr ziehen und ins Loch stecken.
Hermann Adler
Wenn jeder anständige Christ auch nur einen einzigen Juden zu retten versuchte, kämen unsere Parteiheinis mit ihrer Lösung der Judenfrage in verdammte Schwierigkeiten. Unsere Parteiheinis könnten ganz bestimmt nicht alle anständigen Christen aus dem Verkehr ziehen und ins Loch stecken.
Anton Schmid wurde 1900 in Wien geboren. Er besaß ein Radiogeschäft, war verheiratet und hatte eine Tochter. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde er zur deutschen Armee eingezogen (1938 wurde Österreich Teil Deutschlands und somit waren nun alle Österreicher deutsche Staatsbürger). Er diente zunächst in Polen und nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 in den neu besetzten Gebieten. Schmid war in Wilna stationiert und wurde mit der Leitung der Versprengten-Sammelstelle betraut – der Armeeeinheit, die für die Verlegung von Soldaten zuständig war, die von ihren Einheiten getrennt worden waren. Sein Hauptquartier befand sich im Wilnaer Bahnhof und wie alle Menschen in der Gegend wurde er Zeuge der Verfolgung und Ermordung der Juden. Bald verbreiteten sich im Ghetto Gerüchte, ein österreichischer Soldat sei Juden gegenüber freundlich. Es war Schmid, der jede Möglichkeit nutzte, um den Juden zu helfen. Er stellte sie als Arbeiter für seine Militäreinheit ein, verschaffte einigen von ihnen Papiere, sorgte für die Freilassung anderer aus dem berüchtigten Lukiski-Gefängnis, nutzte seine Armeelastwagen, um sie an weniger gefährliche Orte zu bringen, und ging sogar so weit, Juden in seiner Wohnung und seinem Büro Unterschlupf zu gewähren.
Herman Adler und seine Frau Anita waren Mitglieder der zionistischen Bewegung in Wilna. Als Adler in Gefahr war, organisierte Schmid für das Paar ein Versteck in seinem Haus. Auf Adlers Bitte traf sich Schmid mit einem der Anführer der Dror-Pionierbewegung, Mordechai Tenenbaum-Tamarof. Zwischen dem Wehrmachtssoldaten und dem jüdischen zionistischen Aktivisten entwickelte sich eine besondere Beziehung. Schmid begann, den jüdischen Untergrund zu unterstützen.
Schmid benutzte wiederholt Militärfahrzeuge, um Juden aus Wilna, wo die Gefahr damals größer schien, an andere Orte mit relativer Ruhe zu schmuggeln. Er brachte Mitglieder der Widerstandsbewegung von Wilna nach Bialystok und sogar nach Warschau. Er vermittelte Kontakte zwischen jüdischen Untergrundgruppen an verschiedenen Orten, indem er Nachrichten übermittelte und Aktivisten transportierte. Im Oktober 1941 verteilten die Deutschen in einem Versuch, die jüdische Bevölkerung Wilnas zu reduzieren, 3.000 gelb gefärbte Genehmigungen an Facharbeiter. Jede Genehmigung schützte ihren Besitzer und drei Mitglieder seiner Familie. Alle übrigen Juden – diejenigen ohne Genehmigung – sollten getötet werden. Schmid sorgte dafür, dass seine jüdischen Arbeiter so viele Genehmigungen wie möglich erhielten, und half, die übrigen aus Wilna herauszuschmuggeln.
Am 31. Dezember 1941 empfing Schmid zur Neujahrsfeier die Führung der jüdischen Untergrundbewegung Dror in seiner Wohnung. Er nutzte die Gelegenheit, um erneut seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus zum Ausdruck zu bringen. Tenenbaum, der ebenfalls anwesend war, antwortete, dass der jüdische Staat Schmid für seine Hilfe für die Juden ehren werde, wenn er nach dem Krieg gegründet werde. Schmid erwiderte, er werde diese Auszeichnung mit Stolz tragen. Bedauerlicherweise erlebten beide Männer das Kriegsende, die Gründung des Staates Israel und die Anerkennung von Schmids Heldentum durch den jüdischen Staat nicht mehr.
Mit der Zeit wurden Schmids Taten immer dreister. Tenembaum warnte ihn, dass seine Hilfe für die Juden weit verbreitet sei und er in großer Gefahr schwebe. Doch Schmid blieb hartnäckig und half den verfolgten Juden weiter. Seine Menschlichkeit sollte er mit dem Leben bezahlen. In der zweiten Januarhälfte 1942 wurde er verhaftet und wegen Hochverrats vor ein Kriegsgericht gestellt. Nach seiner Verurteilung wurde er im April 1942 hingerichtet.
Vor seiner Hinrichtung schrieb er aus seiner Gefängniszelle einen Brief an seine Frau: „Ich habe nur als Mensch gehandelt und wollte niemandem Schaden zufügen.“
Nicht nur Schmid musste die Folgen seines humanen und mutigen Verhaltens erleiden. Nach der Hinrichtung ihres Mannes wurden Schmids Witwe und Tochter von ihren Nachbarn wegen seines angeblichen Verrats beschimpft. Damals genoss der Nationalsozialismus breite Unterstützung in der Bevölkerung. Erst viele Jahre nach dem Krieg wurde in Wien eine Straße nach Schmid benannt.
1964 – über zwanzig Jahre nach Schmids Hinrichtung und Tenebaums Tod im Ghettoaufstand von Bialystok – erfüllte sich Tenebaums Versprechen an Schmid. Yad Vashem verlieh Anton Schmid den Titel „Gerechter unter den Völkern“.
Aus einem Abschiedsbrief von Anton Schmid an seine Frau Stefanie und seine Tochter Gertha vom 9. April 1942 aus dem Wehrmachtgefängnis Vilnius/ Litauen:
[E]s ist leider so, dass ich zum Tode verurteilt wurde vom Kriegsgericht in Wilna, was ich nie erhofft1 hätte.
[…] Aber meine Lieben, darum Kopf hoch, ich habe mich damit abgefunden, und das Schicksal wollte es so. Es ist von oben uns vom lieben Gott bestimmt, daran lässt sich nichts ändern. Ich bin heute so ruhig, dass ich es selbst nicht glauben kann, aber unser lieber Gott hat es so gewollt und mich so stark gemacht, hoffe, dass Er Euch ebenso stark machte wie mich. Will Dir noch mitteilen, wie das ganze kam: hier waren sehr viele Juden, die vom litauischen Militär2 zusammengetrieben und auf einer Wiese ausserhalb der Stadt erschossen wurden, immer so 2.000–3.000 Menschen. Die Kinder haben sie auf dem Wege gleich an die Bäume angeschlagen. Kannst Dir ja denken. Ich musste, was ich nicht wollte, die Versprengtensammelstelle übernehmen, wo 140 Juden arbeiteten, die
baten mich, ich möge sie von hier wegbringen oder es einem Fahrer mit Wagen sagen. Da liess ich mich überreden, Du weisst ja, wie mir ist mit meinem weichen Herzen – ich konnte nicht [viel nach]denken und half ihnen, was schlecht war von Gerichts wegen.
Glaube Dir, meine liebe Stefi und Gertha, dass es ein harter Schlag ist für uns, aber bitte, bitte verzeiht mir. Ich habe nur als Mensch gehandelt und wollte ja niemandem weh tun. […]
Auszug aus dem Abschiedsbrief Anton Schmids an seine Frau und seine Tochter vom 9. April 1942 aus dem Wehrmachtgefängnis Wilna / Litauen. Simon-Wiesenthal-Archiv, Akte Anton Schmid.
1 Gemeint ist: erwartet hätte
2 tatsächlich agierte nicht das litauische Militär, sondern eine litauische Hilfspolizei unter dem Befehl der deutschen Sicherheitspolizei
Ein zweiter Abschiedsbrief an seine Frau Stefi vom 13.4.1942 1942 nach Ablehnung seines Gnadengesuchs und vor der unmittelbar bevorstehenden Hinrichtung.
„Es wollte eben so sein“.
Ich bin bereit zu sterben da Gott es so will, und sein Wille geschehe. Damit müsst Ihr euch abfinden. Bitte noch einmal vergesst den Schmerz, den ich Euch meine Lieben bereite, und schweigt darüber. Ich habe ja nur Menschen, obwohl Juden gerettet von dem was mich ereilte, und das war mein Tod. So wie ich im Leben immer alles für andere tat, so habe ich auch mein alles für andere geopfert. […] Meine Lieben bitte Euch noch einmal vergesst mich, es wollte eben so sein, das Schicksal hat es so gewollt. Nun schließe ich meine letzten Zeilen, die ich Euch noch schreibe, und Grüße und Küsse Ich Euch und Dich mein Alles auf dieser und der anderen Welt, wo ich bald in Gotteshand bin, noch vielmals Dein Euch ewig liebender
TONI
Auszug aus einem weiteren Abschiedsbrief Anton Schmids an seine Frau Stefi, verfasst am 13. April 1942 nach Ablehnung seines Gnadengesuchs und vor der unmittelbar bevorstehenden Hinrichtung.
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Materialien über den Unteroffizier Anton Schmid, Sign. 00289.
Eine bewusste Verdrängung, sagt Historiker Wolfram Wette:
„Anton Schmid verkörpert die Tatsache, dass es auch kleine Leute in der Uniform der Wehrmacht gab, die innerhalb ihrer Handlungsmöglichkeiten geholfen und gerettet haben. Es stimmt also gar nicht, dass man nichts machen konnte, wie es ja millionenfach nach dem 2. Weltkrieg gesagt worden ist, sondern Anton Schmid war einer, der bewiesen hat, dass man tatsächlich etwas machen konnte- und gar nicht wenig!“
Julia Smilga: Feldwebel Anton Schmid. Ein Retter in Wehrmachtsuniform. Deutschlandfunk Kultur-Online, 31.01.2016.
Die Helden der Humanität als moralisches Kapital unserer Gesellschaft
Hannah Arendt, saß 1961 während des Eichmann-Prozesses als Berichterstatterin für eine amerikanische Zeitung in Jerusalem im Gerichtssaal, als der Partisanenführer Abba Kovner über den Feldwebel Schmid berichtete. Sie reflektierte damals über die Frage: „… wie vollkommen anders alles heute wäre, in diesem Gerichtssaal, in Israel, in Deutschland, in ganz Europa, vielleicht in allen Ländern der Welt, wenn es mehr solche Geschichten zu erzählen gäbe.“
Der englische Lyriker Thom Gunn widmete Anton Schmid 1967 ein Gedicht. Im März 1968 wurde im ZDF erstmals der Spielfilm „Feldwebel Schmid“ ausgestrahlt. In Wien wurde 1990 eine Wohnhausanlage in der Brigittenau in „Anton-Schmid-Hof“ benannt und eine Gedenktafel enthüllt. #
Seit 2002 trägt eine Promenade entlang des linken Ufers des Donaukanals den Namen Anton-Schmid-Promenade. In Haifa wurde ein Platz am Fuß der Templersiedlung als Anton-Schmid-Platz benannt.
Im Jahr 2000 erhielt die Kaserne der Heeresflugabwehrschule der deutschen Bundeswehr in Rendsburg den Namen Feldwebel-Schmid-Kaserne. Nach der Schließung des Standortes wurde das Lehrsaalgebäude in Todendorf 2012 zum Gedenken an Schmid in Feldwebel-Schmid-Haus umbenannt.
Seit 2011 besitzt Schmid zudem ein symbolisches Grab in Wilna, gestiftet von der Republik Österreich. Am 22. Juni 2016, dem 75. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, wurde die Harz-Kaserne in Blankenburg in Feldwebel-Anton-Schmid-Kaserne umbenannt.
Der vormalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, nutzte seine Rede zum Feierlichen Gelöbnis von Rekruten der Bundeswehr am 20. Juli 2001, um an den Offizierswiderstand des 20. Juli und an andere Widerstandskämpfer zu erinnern. , sondern auch an einen „anderen Widerstandskämpfer“. Er sagte: „Männer wie Anton Schmid sind die eigentlichen Helden der deutschen Militärgeschichte im vergangenen Jahrhundert. Denn sie wagten alles – um Anderer willen.“ Spiegel fügte hinzu: „Sie waren Menschen mit Mut und Zivilcourage, bereit, alles zu wagen und auch einem übermächtigen Bösen zu trotzen. Deshalb gehören sie nicht nur zur Vergangenheit Deutschlands, sondern auch zu unserer Zukunft.“
(Wolfram Wette: Rettungswiderstand für GDW. Festvortrag von Prof. Dr. Wolfram Wette am 19. Juli 2013 in der St. Matthäus-Kirche, S. 12)
Anton Schmids militärischer Ungehorsam war eine unmittelbare Konsequenz seiner Humanität. Sie hatte für ihn größeres Gewicht als das mit härtesten Sanktionen behaftete militärische Regelsystem. Wir können Anton Schmid – und mit ihm die anderen widerständigen Retter in Uniform – als Männer ehren, die unter extremen Bedingungen – mitten im Krieg und Holocaust – als humane Menschen handelten und damit auch für die Gegenwart ein zivilgesellschaftliches Vorbild sein können. Sie lehren die heute und zukünftig lebenden Menschen, dass eine humane Orientierung die Leitlinie für das eigene Handeln sein muss, im Alltag wie unter schwierigeren Bedingungen.
(Wolfram Wette: Rettungswiderstand für GDW. Festvortrag von Prof. Dr. Wolfram Wette am 19. Juli 2013 in der St. Matthäus-Kirche, S. 1)
Die Dokumentation „Anton Schmid – Der gute Mensch von Wilna“ zeichnet die berührende Heldengeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg nach, ORF, 2023.
Wolfram Wette: Feldwebel Anton Schmid. Ein Held der Humanität. Frankfurt am Main 2013.
Manfred Wieninger: Die Banalität des Guten – Feldwebel Anton Schmid – Roman in Dokumenten. Wien 2014.
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