Baumann Crown of Horns, 2024
Der Kunstparcours
Crown of Horns, 2024
Ich habe immer wieder nach etwas gesucht, das ich nicht kann. Ich will mich überraschen und vom Material leiten lassen. Darum habe ich mich auch alle fünf bis sieben Jahre mit neuen Werkstoffen beschäftigt: Von Sperrholz über Gips bis hin zu Beton, Keramik, Porzellan und Kunststoff
EDUCATION
GRANTS, AWARDS, RECOGNITION
2024 1. Preis Kunst am Bau Wettbewerb Familienzentrum / Kita Bingen
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Ein Blick hinter das Werk
Anselm Baumann – CROWN OF HORNS
Der Künstler Anselm Baumann agiert wie ein Forscher. Seine Arbeitsweise ist ein intensives Experimentieren mit Farben, Materialien und Produktionstechniken, wobei seine Werke oft in einem über Monate dauernden Entwicklungsprozess entstehen und stets um ein zentrales Thema kreisen, den Raum. Der Raum verstanden als architektonischer, als Farb- und Ideenraum, der sich zwischen Konstruktion und Vorstellung entfaltet. Wesentlich für diesen Prozess ist dabei das Unvorhersehbare, das als Störung akzeptiert und als kreatives Potenzial bewusst in den Arbeitsprozess integriert wird. Diese Offenheit erlaubt es dem Werk, sich jenseits des ursprünglich Gedachten zu entwickeln. Als gelernter Bildhauer kam Baumann früh mit unterschiedlichsten Materialien und Bearbeitungstechniken in Kontakt. Seither hat er sein Spektrum konsequent erweitert, was sich besonders in seinen Gipsreliefs zeigt. Abstrakte Collagen innerhalb architektonischer Elemente, dabei werden Maßstab und Zweck bewusst in der Schwebe gehalten. Modelle für Gebäude oder nur Fassaden, finale Werke oder Zwischenstufen einer größeren Idee sind in ihrer gewollten Ambivalenz Teil des künstlerischen Konzepts, das durch die modellhafte Unfertigkeit die Vorstellungskraft der Betrachtenden aktiviert und Raum lässt für die Frage: Wie sähe ein Gebäude dieser Art aus, wo stünde es, wie würde es wirken?
Auf dem Union-Areal manifestiert sich diese Denkweise in zwei nestartig plastischen Gebilden. Wie stilisierte Kapitelle erinnern sie an Baumkronen und fungieren als skulpturale Inan den Schnittstellen der Pfosten-Riegel-Konstruktion. Mit ihrer kraftvollen Präsenz lenken sie den Blick nach oben, während sie zugleich den rationalen Pragmatismus der baulichen Struktur unterlaufen und durch ihre organoide Formsprache in einen Dialog mit der konstruktiven Klarheit treten. So beginnt ein Spiel, bei dem plastische Elemente und collagierte Oberflächenstrukturen ständig neue Wahrnehmungen freisetzen und durch die Bewegung entlang der Wendeltreppe die Betrachtenden selbst zu Akteuren werden, die durch ihre Perspektive Veränderungen erzeugen, indem sie die Nest-Baumkronen-Konstellation immer wieder neu erleben. Sie entstehen aus der Auseinandersetzung mit natürlichen Nestformen und vergleichbaren organischen Strukturen, wobei die in Aluminium gegossenen Äste mit filigraner Anmutung eine Fortsetzung und Steigerung der jeweiligen Wendeltreppen darstellen und in einen Dialog mit den Dächern eintreten. In diesem narrativen Geflecht, das Architektur, Skulptur und Symbolik miteinander verwebt, beziehen sich die beiden Baumskulpturen zusammen mit den stilisierten Widderhörnern auf die biblische Erzählung der Opferung Isaaks.
Ein begleitender Schriftzug visualisiert die Tradition des Schofar-Blasens, jenes archaische Widderhorn, das im Judentum eine tiefe spirituelle Bedeutung hat. An Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, wird traditionell das Schofar geblasen, um einen inneren Weckruf zur Umkehr auszulösen. Dieser Ruf steht für Erneuerung, Freiheit, Erlösung. Seine Töne – Tekia, Tru’ah und Schewarim – formen eine symbolische Klangarchitektur, die zwischen Beständigkeit, Auflösung und Unterbrechung oszilliert, wobei die Schewarim, im jüdischen Kontext als „Bruchstücke“ gedeutet, für den Zustand des Erschüttertseins und zugleich der Erneuerung stehen und somit eine metaphorische Brücke schlagen zwischen dem Gebrochen werden und dem Aufbruch zu Neuem. Die Schrift, die diese klangliche Symbolik aufgreift, spielt mit der Idee der Lautmalerei; Größe, Farbe und die mögliche Ausführung als Cut-outs sind Teil des gestalterischen Konzepts, das den Dialog zwischen Skulptur, Text, Klang und spiritueller Bedeutung eröffnet und letztlich auch die Frage nach der Wirksamkeit von Kunst im Raum stellt: als Störung, als Widerstand, als Anstoß zur Veränderung.
Über die Künstler:in
Der Künstler und Bildhauer Anselm Baumann (*1958 in Freiburg i. Br.) lebt seit 1989 in Frankfurt am Main und ist seit 2006 Lehrbeauftragter für „Neue Möglichkeiten“ an der HfG (Hochschule für Gestaltung) in Offenbach. Er führt ein hochprofessionell ausgestattetes Atelier, das auf diverse Techniken spezialisiert ist, und hat mit renommierten KünstlerInnen wie Tobias Rehberger, Anne Imhof, Michael Sailstorfer, Michael Beutler u. a. kooperiert und Werke von ihnen produziert. Er hat zahlreiche Wettbewerbe gewonnen und profiliert sich mit Kunst-am-Bau- und Kunstprojekten im öffentlichen Raum.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt