Fry Varian
Hoffnungsträger
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PORTRAIT

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Ich konnte nicht länger gleichgültig bleiben.
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Tatsache war, dass ich überhaupt nicht wusste, wie und wo ich anfangen sollte. Meine Aufgabe bestand darin, bestimmte Flüchtlinge zu retten. Aber wie? Wie mit ihnen in Kontakt kommen? Und was konnte ich für sie tun, wenn ich sie ausfindig gemacht hatte?
Varian Fry
Tatsache war, dass ich überhaupt nicht wusste, wie und wo ich anfangen sollte. Meine Aufgabe bestand darin, bestimmte Flüchtlinge zu retten. Aber wie? Wie mit ihnen in Kontakt kommen? Und was konnte ich für sie tun, wenn ich sie ausfindig gemacht hatte?
1935 arbeitet der amerikanische Journalist Varian Fry für kurze Zeit in Berlin. Als er dort Zeuge wird, wie SA-Männer einen jüdischen Mann misshandeln, wird ihm klar: Er kann nicht länger tatenlos zusehen. Zurück in den USA sammelt er Spenden für Verfolgte. Am 25. Juni 1940 wird bei einer von ihm mitorganisierten Aktion in New York das Emergency Rescue Committee (ERC) gegründet – mit dem Ziel, vom NS-Regime Verfolgte Intellektuelle, Künstler und politische Gegner aus Frankreich zu retten.
Im August 1940 reist Fry im Auftrag des ERC nach Marseille – mit 3.000 Dollar, einer Liste mit 200 Namen und Visa-Dokumenten im Gepäck. Im Hotel Splendide richtet er sich ein und beginnt, die auf der Liste vermerkten Personen zu kontaktieren. Doch schon bald spricht sich seine Anwesenheit herum – immer mehr Flüchtlinge suchen seine Hilfe. Täglich versammeln sich verzweifelte Menschen vor seiner Tür, in der Hoffnung auf Rettung.
Schnell wird Fry klar: Er kann nicht nur den 200 auf seiner Liste helfen. Er beschließt, allen zu helfen, die in Gefahr sind. Die Zahl der Hilfesuchenden wächst rasant. Um dem Ansturm zu begegnen, mietet er ein Büro und stellt ein kleines Team zusammen. Tag für Tag führen sie unzählige Gespräche, um herauszufinden, wer am dringendsten Unterstützung benötigt. Als die amerikanischen Visa aufgebraucht sind, sucht Fry nach neuen Wegen: Er organisiert Einreisepapiere für andere Länder, lässt Dokumente fälschen und arbeitet mit Helfern wie Lisa Fittko zusammen, die Flüchtlinge über Schmugglerrouten nach Spanien bringen. Viele können so mit Schiffen oder über den Landweg entkommen.
Frys Rettungsaktionen bleiben nicht unbemerkt. Die französische Polizei beginnt, ihn zu überwachen, durchsucht sein Büro und behindert zunehmend seine Arbeit. Unterstützung von der US-Botschaft in Vichy oder dem Konsulat in Marseille bleibt aus – die amerikanische Einwanderungspolitik zeigt sich strikt und unbeweglich. Im Dezember 1940 wird Fry verhaftet und auf einem Gefängnisschiff im Hafen von Marseille festgehalten. Nach seiner Freilassung arbeitet er unbeirrt weiter – trotz abgelaufenem Pass und illegalem Aufenthalt. Im August 1941 wird er erneut festgenommen und auf Drängen der US-Behörden aus Frankreich ausgewiesen.
Während seiner Zeit in Marseille, hat Varian Fry rund zweitausend Menschen zur Flucht verholfen. Unter ihnen sind Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle wie die Maler Marc Chagall und Max Ernst sowie der Bildhauer Jaques Lipchitz. Aber auch die Schriftsteller Franz Werfel, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Anna Seghers und die Philosophin Hannah Arendt.
Zurück in den USA findet Fry kaum Anerkennung für seine Rettungsaktionen. Er veröffentlicht 1945 das Buch Surrender on Demand über seine Erfahrungen in Marseille, arbeitet später als Journalist, Lateinlehrer und Werbetexter. 1967 stirbt er im Alter von nur 59 Jahren.
„Ich glaube, er war sehr enttäuscht davon, wie er zu Hause empfangen wurde“, sagte sein Sohn, Jim Fry. „Und er war auch enttäuscht davon, dass viele der Künstler und Menschen, denen er geholfen hatte, nicht wirklich anerkennen wollten, wie viel er für sie getan hatte. Ein paar schon, aber andere wollten diesen Teil ihres Lebens nicht nochmal erleben.“
Quelle: Yad Vashem
Am 21. Juli 1994 ehrt ihn die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechten unter den Völkern“.
Kurz vor seinem Tod 1967 ernannte ihn die französische Regierung zum Chevalier der Ehrenlegion.
1996 pflanzte Varian Frys Sohn seinem Vater zu Ehren einen Baum in Yad Vashem. Der damalige US-Außenminister Warren Christopher entschuldigte sich nach der Zeremonie für die schlechte Behandlung Frys durch das Außenministerium während der Kriegsjahre.
1991 würdigte ihn die US-Regierung postum mit der Medal of Freedom; andere Ehrungen folgten.
Seit Dezember 1997 heißt eine Straße am Potsdamer Platz in Berlin „Varian-Fry-Straße“. Im überdachten Wartebereich der gleichnamigen Bushaltestelle ist eine Gedenktafel angebracht, die über seine Rolle als Fluchthelfer für NS-Verfolgte informiert.
Wolfgang D. Elfe, Jan Hans (Hrsg.): Varian Fry: Auslieferung auf Verlangen. Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41. München 1986. Taschenbuchausgabe 2009.
Angelika Meyer (Hrsg.): Ohne zu zögern: Varian Fry: Berlin-Marseille-New York. Publikation zur gleichnamigen Wanderausstellung, Aktives Museum, Berlin.
Mary Jayne Gold: Crossroads Marseilles 1940 (1980).
Uwe Wittstock: Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur. Ein literarisches Denkmal für Fry und seine Gruppe. München 2024.
Villa Air Bel – Varian Fry in Marseille. Regie: Jörg Bundschuh. Dokumentarfilm, 1987.
Varian Fry: The Artists’ Schindler “. Regie: David Kerr. Dokumtarfilm1997.
Ein vergessener Held ist ein US-amerikanisch-britisch-kanadischer Fernsehfilm. Regie:Lionel Chetwynd, 2001.
Transatlantic, Netflix-Miniserie. Regie: Stéphanie Chuat, Véronique Reymond (Folgen 1–4); Mia Meyer (Folgen 5–7), Idee und Drehbuch: Anna Winger, Daniel Hendler. Das Drehbuch basiert auf dem Roman The Flight Portfolio von Julie Orringer.
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