Ponizovsky Bergelson Buildings at night, 2024
Der Kunstparcours
Buildings at night, 2024
EDUCATION
GRANTS, AWARDS, RECOGNITION
2024/25 Holocaust Memorial Mural, The Horwitz-Wasserman Holocaust Memorial Plaza, Philadelphia
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Ein Blick hinter das Werk
Ella Ponizovsky Bergelson – Buildings at night
Die in Moskau geborene Künstlerin Ella Ponizovsky Bergelson wuchs in Jerusalem auf und lebt heute in Berlin. Drei Städte, drei kulturelle Räume, die ihren künstlerischen wie biografischen Werdegang prägen. Ihre Arbeiten entstehen im öffentlichen Raum, meist als großflächige Wandbilder, in denen sich Sprachen und Schriften überlagern. So treffen beispielsweise Jiddisch, Hebräisch, Arabisch, Deutsch, Englisch und Russisch aufeinander, verschränken sich kalligrafisch, begegnen sich visuell und inhaltlich. Bergelsons künstlerisches Medium ist die Schrift – aber nicht nur als Zeichen von Sprache, sondern als Trägerin von Identität, Geschichte und Erinnerung.
Ausgehend von ihrer eigenen, kulturell vielschichtigen Biografie entwickelt sie das Konzept der „hybriden Kalligrafie“. Dieses versteht sie als visuelle Strategie zur Auseinandersetzung mit Migration, Mehrsprachigkeit und kollektiven wie individuellen Identitätsprozessen. Ihre Wandarbeiten sind Schriftbilder, Interventionen, die sich in die Oberfläche der Stadt einschreiben, ihr widersprechen, sie poetisch erweitern. Dabei greift sie auf Texte zurück, die historisch, literarisch oder gesellschaftlich bedeutsam sind, wie die Lyrik Debora Vogels, eine zentrale Stimme der jiddischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit.
Debora Vogel schrieb emotional dichte Lyrik, die die psychologischen Zustände moderner Großstadtmenschen, durchdrungen von Isolation, Melancholie und dem Streben nach Zugehörigkeit, beschreiben. Mit feinsinniger Bildsprache reflektiert sie die urbane Realität ihrer Zeit, was in Bergelsons Werk unmittelbar Resonanz findet. Bergelsons Wandbilder greifen Vogels Sprachbilder auf und übersetzen sie in visuelle Rhythmen, ein Zusammenspiel aus Typografie, Architekturfragment und emotionalem Raum.
Die Wand als Trägerin dieser Texte ist nicht zufällig. Ihre Arbeiten entstehen bewusst außerhalb des White Cubes, jenseits kuratierter Schutzräume. Im öffentlichen Raum – Teil der Stadt, der Gegenwart – treffen sie auf soziale Realität, auf Zustimmung und Widerstand. Die bürokratischen Hürden, die Sprachbarrieren, die politische Aufladung öffentlicher Schrift und die Ambivalenz gegenüber fremden Alphabeten gehören ebenso zum Werkprozess wie Farbe, Pinsel und Wandfläche. Bergelson selbst beschreibt diesen Spannungsraum als integralen Bestandteil ihrer künstlerischen Praxis. Ihre Arbeiten irritieren, fordern heraus, stellen Fragen, nicht zuletzt nach Sichtbarkeit und Zugehörigkeit.
Für das Union-Areal realisierte die Künstlerin eine Wandarbeit, in der sie die am häufigsten in Frankfurt gesprochenen Sprachen aufgegriffen hat. Dabei bezieht sie sich auf Debora Vogels Lyrik, ihre Art, urbane Räume als emotionale Landschaften zu denken. Der architektonische Kontext des Union-Komplexes wird dabei bewusst aufgenommen: Fensterachsen, Mauerkanten und Fassadenrhythmen fließen in die Komposition ein. Die Mauer wird nicht nur Trägerin der Kunst, sondern Teil der Erzählung. In Anlehnung an Michael Landes’ architektonisches Konzept, Altes und Neues, Geschichte und Gegenwart miteinander zu verbinden, arbeitet auch Bergelsons Mural mit Schichtungen: sprachlich, zeitlich, materiell. Fragmente aus Vogels Gedichten werden in verschiedenen Sprachen – darunter auch in Jiddisch – wiedergegeben, was einen vielstimmigen „Sprachraum“ entstehen lässt, der die Heterogenität der Stadt reflektiert.
Wie sehr Architektur und Dichtung, urbaner Raum und persönliche Erfahrung miteinander verwoben sind, zeigt sich hier auf eindrückliche Weise. Bergelsons Arbeit denkt Erinnerung nicht als Rückschau, sondern als lebendige Bewegung. Durch Schrift, Form und Farbe wird die Vergangenheit sichtbar gemacht und zugleich in die Gegenwart übersetzt. Dabei entsteht ein Dialog zwischen poetischem Denken und räumlicher Praxis, der nicht nur die Wand, sondern auch die Betrachtenden in Bewegung versetzt.
Über die Künstler:in
Die Künstlerin Ella Ponizovsky Bergelson (*1984 in Moskau) studierte an der Bezalel Academy of Arts in Jerusalem und der School of Visual Arts in New York City. 2022 war ihr Werk auf der 59. Kunst Biennale in Venedig im Rahmen des THE YIDDISHLAND PAVILION zu sehen. Ihre künstlerischen Interventionen sind seit 2023 u. a. am Pathos Theater in München und der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg zu sehen. Seit 2016 werden ihre Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und sind in Sammlungen wie dem Klingspor Museum in Offenbach am Main vertreten.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt