Krebber Malgrün (Derelikt V)
Der Kunstparcours
Malgrün (Derelikt V)
Eigentlich wollte ich bloß etwas kaputtmachen. Aber um das bildnerisch zu zeigen, braucht es als Kontrast eine regelmäßige Struktur, eine Ordnung. Daher habe ich mit regelmäßigen Strukturen angefangen, die ich zerdrückt, verformt und mit feuchtem Ton beworfen habe. Diese Strukturen sahen aus wie Hochhäuser - das war ein Entdecken beim Machen, keine vorausgehende Absicht. Unweigerlich kommen Medienbilder von zerstörten und ausgebombten Häusern in den Sinn, die uns von Syrien, der Ukraine oder Gaza erreichen. Doch die im Fluss erstarrte Glasur lässt die Ruinenplastiken unwirklich werden. Wie mit Sirup übergossen, glänzen die Strukturen mehrfarbig. Die Realität hatte mich eingeholt, aber ich konnte den Schrecken zumindest noch entrücken.
EDUCATION
M.A. Fine Art Sculpture, Royal Collage of Art, London
seit 2012 Professur Bildhauerei, Orientierungsbereich Kunstakademie Düsseldorf
GRANTS, AWARDS, RECOGNITION
- zum Standort navigieren
Ein Blick hinter das Werk
Mit seinen Skulpturen aus der Werkreihe Derelikt richtet Gereon Krebber den Blick auf Fragilität, Verfall und die ästhetische Aufladung zerstörter Strukturen. Der Titel Derelikt leitet sich vom lateinischen derelictus ab und bedeutet so viel wie verlassen, preisgegeben oder aufgegeben. Auch bezeichnet Derelikt ein herrenloses Gut, das aufgegeben wurde, etwa ein gestrandetes Schiff. In der Architektur spricht man von Dereliktbauten, wenn es sich um verfallene Gebäude handelt. Diese Bedeutungsfelder schwingen auch in Krebbers skulpturalen Arbeiten mit, sie verweisen auf Zerstörung und die Transformation von Ordnung in Chaos.
Ausgehend von streng konstruierten Tonformen, oft turmartige Raster aus Plattenelementen, entstehen plastische Gebilde, die zunächst fast architektonisch anmuten, dann aber in einem Akt gezielter Destruktion gebrochen, eingedrückt und deformiert werden. Die formale Ordnung wird unterlaufen, aus der geplanten Konstruktion wächst das Unberechenbare.
Zentrales gestalterisches Mittel ist dabei die Glasur: Krebber verwendet eine für niedrigere Temperaturen gedachte Glasur, die er bewusst „überfeuert“. Bei überhöhter Brenntemperatur beginnt das Material zu fließen, läuft über die gebrochene Oberfläche und erstarrt im Moment der Bewegung. Das Ergebnis ist ein eigentümlicher Materialzustand zwischen fließen und erstarren, zwischen Zerstörung und Ornament. Die glänzenden, mehrfarbigen Schichten überziehen die skulpturalen Strukturen wie zäher Sirup, zugleich sinnlich, verführerisch, irritierend.
Was aus der Distanz wie eine Ruine wirkt, offenbart bei näherer Betrachtung ein komplexes Spiel aus Gegensätzen: harte Raster und weiche Rinnsale, klar strukturierte Körper und amorphe Einschläge, technische Präzision und rohe Gewalteinwirkung. Die Oberflächen changieren zwischen Fragilität und Brutalität, zwischen Schönheit und Schrecken. Dabei vermeidet Krebber direkte Anspielungen auf konkrete Bauwerke oder historische Ereignisse, doch lassen sich Assoziationen an zerstörte urbane Räume kaum vermeiden.
Besonders im Kontext des Ausstellungsorts entstehen Resonanzen: Gerade in Städten mit dominanter Nachkriegsarchitektur wie Marl entfalten Krebbers Arbeiten eine besondere Wechselwirkung mit der Umgebung. Der Brutalismus der Nachkriegsmoderne, einst Ausdruck von Fortschritt und Wiederaufbau, erscheint in den Skulpturen als fragile Erinnerung, als gezeichnete Form zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Die Zerstörung ist dabei kein bloßer Akt des Vandalismus, sondern bildnerische Strategie. Durch das bewusste Kaputtmachen erzeugt Krebber ein Spannungsverhältnis zwischen Ordnung und Verwerfung, zwischen der Regelhaftigkeit des Rasters und der Unvorhersehbarkeit des Materials. Der Prozess des Werfens, Zerdrückens und Reißens wird selbst Teil der ästhetischen Erzählung. Wie der Künstler selbst formuliert:
„Eigentlich wollte ich bloß etwas kaputt machen. Aber um das bildnerisch zu zeigen, braucht es als Kontrast eine regelmäßige Struktur, eine Ordnung. Daher habe ich mit regelmäßigen Strukturen angefangen, die ich zerdrückt, verformt und mit feuchtem Ton beworfen habe. Diese Strukturen sahen aus wie Hochhäuser – das war ein Entdecken beim Machen, keine vorausgehende Absicht. Unweigerlich kommen Medienbilder von zerstörten und ausgebombten Häusern in den Sinn, die uns von Syrien, der Ukraine oder Gaza erreichen. Doch die im Fluss erstarrte Glasur lässt die Ruinenplastiken unwirklich werden. Wie mit Sirup übergossen glänzen die Strukturen mehrfarbig. Die Realität hatte mich eingeholt, aber ich konnte den Schrecken zumindest noch entrücken.“
Derelikt ist damit nicht nur eine Serie von Skulpturen, sondern ein komplexes Reflexionsfeld: über Zerstörung als schöpferischer Akt, über die ästhetische Verwandlung von Trauma, über Material als Träger von Bedeutung.
Gereon Krebber gelingt es, in Ton und Glasur eine irritierende Ambivalenz zu evozieren, zwischen realer Welt und surrealer Anmutung, kritischem Kommentar und formaler Lust.
Über die Künstler:in
Der Künstler Gereon Krebber (*1973 in Oberhausen) studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie bei den Professoren Tony Cragg und Hubert Kiecol sowie am Royal College of Art in London. Seit 2012 lehrt er selbst als Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine Werke wurden in nationalen und internationalen Institutionen und Ausstellungen gezeigt, u. a. 2013 im Kunstmuseum Gelsenkirchen, 2016 im Museum DKM Duisburg und im Folkwangmuseum, Essen, 2023 im Marburger Kunstverein und 2024 bei der 9. Schweizerischen Triennale der Skulptur in Bad Ragaz und Vaduz. Krebber hat Arbeiten im öffentlichen Raum, u. a. in Bonn, Bochum und Viersen, realisiert. 2003 hat er den Jerwood Sculpture Prize, 2009 das Wilhelm-Lehmbruck-Stipendium erhalten, und 2021 verbrachte er eine Artist Residency im renommierten Europäischen Keramischen Werkzentrum (EKWC) in Oisterwijk (NL).
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt