Hoffnungsträger

Dr. Fritz und Margarete Kahl

PORTRAIT

Jeder Mensch hat eine Verantwortung, der muss man sich stellen.

Fritz Kahl wächst in einer Pfarrersfamilie auf, überlebt den Ersten Weltkrieg als Soldat und studiert anschließend Medizin in Marburg. Später lässt er sich als Arzt in Frankfurt am Main nieder. Schon früh positionierten er und seine Frau Margarete sich klar gegen das NS-Regime. 1934 reist Fritz Kahl nach Berlin, um einem jüdischen Kollegen beizustehen, dessen Praxis geschlossen werden soll.

Dr. Fritz Kahl
7. Dezember 1895 – 13. Februar 1974
Sterbfritz · Weilburg

Margarete Kahl
15. November 1896 – 05. Januar 1958
Schlüchtern · Frankfurt am Main

Ich wusste alles, weil ich Patienten hatte, die zum Teil Kommunisten waren, zum Teil aber auch durchaus keine Kommunisten waren, aber das Dritte Reich und sein Regime, das sich inzwischen entartet hatte, hassten, die genau wussten, dass sie mir alles erzählen konnten. Ich habe sogar im Krieg, es war zum ersten Mal im Jahr 1942, geheim aufgenommen Aufnahmen gesehen von Massenexekutionen und habe außerdem mehrere Leute gesprochen, die in Konzentrationslagern gewesen sind, davon einige in „Majdanek, und mir so viel damals erzählten, dass ich es ihnen zunächst kaum abgenommen habe. Erst später merkte ich, dass es tatsächlich die Wahrheit war.

Ich wusste alles, weil ich Patienten hatte, die zum Teil Kommunisten waren, zum Teil aber auch durchaus keine Kommunisten waren, aber das Dritte Reich und sein Regime, das sich inzwischen entartet hatte, hassten, die genau wussten, dass sie mir alles erzählen konnten. Ich habe sogar im Krieg, es war zum ersten Mal im Jahr 1942, geheim aufgenommen Aufnahmen gesehen von Massenexekutionen und habe außerdem mehrere Leute gesprochen, die in Konzentrationslagern gewesen sind, davon einige in „Majdanek, und mir so viel damals erzählten, dass ich es ihnen zunächst kaum abgenommen habe. Erst später merkte ich, dass es tatsächlich die Wahrheit war.

Fritz Kahl wächst in einer Pfarrersfamilie auf, überlebt den Ersten Weltkrieg als Soldat und studiert anschließend Medizin in Marburg. Später lässt er sich als Arzt in Frankfurt am Main nieder. Schon früh positionieren er und seine Frau Margarete sich klar gegen das NS-Regime. 1934 reist Fritz Kahl nach Berlin, um einem jüdischen Kollegen beizustehen, dessen Praxis geschlossen werden soll. Während des Novemberpogrom 1938 verhindert er die Verhaftung eines jüdischen Fabrikanten. Ein enger Freund der Familie, Dr. Otto Loewe, wird jedoch Opfer der Pogrome. Diese Erfahrungen hinterlassen bei Kahls tiefe Spuren.

Nach Kriegsausbruch behandelt Kahl weiterhin jüdische Patienten – obwohl die Reichsärztekammer ihm deshalb die Lebensmittelzulage entzieht. Dennoch schickt Margarete Kahl ihren ältesten Sohn mit Lebensmitteln zu jüdischen Familien, die noch weniger haben.

Ab 1941 bauen die Kahls und Pfarrer Heinz Welke von der Bockenheimer Dreifaltigkeitskirche, ein geheimes Rettungsnetzwerk auf, um Juden vor Verfolgung, Deportation und Tod zu bewahren und ihnen zur Flucht zu verhelfen. Sie organisieren Verstecke, beschaffen Lebensmittel und gefälschte Papiere, planen mit Fluchthelfern Fluchtrouten bis in die Schweiz. Durch einen früheren Sanatoriumsaufenthalt in Davos verfügt Welke über gute Kontakte dorthin.

Zum Bockenheimer Netzwerk* gehören neben den drei Hauptakteuren auch Gemeindemitglieder, Patienten von Dr. Kahl und weitere Unterstützer: der Kriminalbeamte Gentemann, der vor Gestapo-Razzien warnt, ein Fälscher, der Papiere liefert, sowie der Schlosser Karl Münch, der Flugblätter verteilt, Kurierdienste übernimmt und Ausweise beschafft. Ein Lebensmittelhändler löst Marken für Versteckte ein, Cavit Fitama vom türkischen Konsulat stellt Obst und Gemüse bereit, und die Haushaltshilfe Paula Meisenzahl bringt Schmuck jüdischer Patienten nach London.

Im Juli 1942 erreicht der aus Majdanek geflohene Robert Eisenstädt das Netzwerk. Zunächst findet er Unterschlupf bei seiner Verlobten Eva Müller. Kahl behandelt den Schwerverletzten und versteckt ihn später im Haus der Familie in der Blanchardstraße 22. Während Eisenstädts Genesung planen Fritz und Margarete Kahl zusammen mit Pfarrer Welke seine Flucht.

Der Weg in die Schweiz ist riskant. Seit Monaten werden jüdische Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen – nur schwangere Frauen und deren Ehemänner gelten als halbwegs sicher. Da Eisenstädt aufgrund seiner Misshandlungen im KZ nur bedingt fortpflanzungsfähig ist, führt Kahl bei Eva Müller eine künstliche Befruchtung durch – mit Erfolg.

Im Februar 1943 machen sich Eva, sichtbar schwanger, und Robert, getarnt als verwundeter Soldat, auf den Weg. Margarete Kahl begleitet sie bis zur Grenze. Am 21. Februar gelingt die Flucht. Wenige Monate später kommt in Basel ihre Tochter zur Welt.

Im März 1943 verstecken Kahls auch Eva Müllers Schwester Berta. Für ihre Flucht nach Wien besorgt Fritz Kahl ihr einen gefälschten Ausweis.

Auch in den letzten Kriegsmonaten bleibt das Netzwerk aktiv. Nach der letzten großen Deportationsanordnung im Februar 1945 verstecken sie mehrere von ihnen betreute Verfolgte in einem Unterschlupf in Königstein.

Nach Kriegsende wird Fritz Kahl, einer der wenigen unbelasteten Ärzte in Frankfurt, vom amerikanischen Stadtkommandanten für einige Zeit zum „City Health Director“ ernannt. Später nimmt er seine Arbeit als Hausarzt wieder auf.

* Die Soziologin Petra Bonavita prägte für das Rettungsnetz in Frankfurt-Bockenheim den Begriff „Bockenheimer Netzwerk“, der inzwischen als stehender Begriff verwendet wird.

Quellen:
Pete Smith: Dr. Fritz Kahl. Begeisterter Arzt und moralisches Vorbild. Ärzte-Zeitung-Online, 12.02.2015.
Petra Bonavita: Retter und Gerettete aus Frankfurt am Main: Das Bockenheimer Netzwerk. S. 22-26. In: Gebrochene Identitäten. Auswirkungen traumatischer Erfahrungen auf Child Survivors. Kongressbeiträge 4. – 7. 11.2012 (Hrsg.): Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V.;
Petra Bonavita: Mit falschem Pass und Zyankali. Das Bockenheimer Netzwerk, S. 11-51. Stuttgart 2009.

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