Joachim Marianne
Hoffnungsträger
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PORTRAIT

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Großer Lebensdurst … das war ihre Sache. Nichts war heilig. Alles forderte sie zu einem Witz oder einem Scherz heraus. … Das Leben schien ihr eine Schale voller Kirschen zu sein, sogar damals.
Ellen Compart 1985 über ihre Freundin Marianne Joachim.
Großer Lebensdurst … das war ihre Sache. Nichts war heilig. Alles forderte sie zu einem Witz oder einem Scherz heraus. … Das Leben schien ihr eine Schale voller Kirschen zu sein, sogar damals.
Marianne Prager, die als Tochter eines Bauarbeiters in Berlin aufwächst, wird nach dem Abschluss an der Realschule Kinderpflegerin im Jüdischen Kinderheim in der Gipsstraße in Berlin-Mitte. Sie muss diese Stelle aufgeben, da sie im Sommer 1940 nach Rathenow zur Zwangsarbeit im Landeinsatz verpflichtet wird. Am 22. August 1941 heiratet sie in Berlin Heinz Joachim. Zu dieser Zeit ist sie Zwangsarbeiterin in der Fabrik Alfred Teves in Berlin-Wittenau. Nachdem ihr Ehemann Heinz Joachim in der „Judenabteilung” der Elektromotorenfabrik der Siemens-Werke Herbert Baum kennenlernt, schließen sie sich gemeinsam mit ihrem Freundeskreis der Baum-Gruppe an. Ihre Wohnung in der Rykestraße im Prenzlauer Berg dient häufig als Treffpunkt für Zusammenkünfte. Am 9. Juni 1942 wird sie wegen ihrer Beteiligung am Brandanschlag gegen die Ausstellung „Das Sowjetparadies” festgenommen und mit acht weiteren Mitgliedern der Baum-Gruppe am 4. März 1943 in Berlin-Plötzensee ermordet.
© Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Konrad Kwiet/Helmut Eschwege: Die Herbert-Baum-Gruppe. In: Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933-1945. Köln 1994, S. 56ff.
Konrad Kwiet/Helmut Eschwege: Selbstbehauptung und Widerstand deutscher Juden. Der Kampf um Existenz und Menschenwürde. Hamburg 1984.
Michael Kreutzer: Die Suche nach einem Ausweg, der es ermöglicht, in Deutschland zu leben. Zur Geschichte der Widerstandsgruppen um Herbert Baum. In: Wilfried Löhken/Werner Vathke (Hrsg.): Juden im Widerstand. Drei Gruppen zwischen Überlebenskampf und politischer Aktion. Berlin 1939-1945. Berlin 1993, S. 95ff.
Regina Scheer: Im Schatten der Sterne. Eine jüdische Widerstandsgruppe. Berlin 2004.
Brief von Marianne Sara Joachim
Berlin-Plötzensee, den 4. März 1943
Meine lieben Schwiegereltern,
nun müsst Ihr zum zweiten Male die traurige Gewissheit erfahren, dass Ihr ein Kind verloren habt; wenn es auch diesmal nur Eure Schwiegertochter ist. Mir tut bloss leid, dass ich nicht an ein Jenseits glauben kann; sonst wäre ich schon jetzt glücklich in der Vorfreude auf ein Wiedersehen mit meinem, Eurem Heini. – Aber auch so fällt es mir nicht schwer, aus dem Leben zu gehen; mir tun nur Vati und Mutti so unsagbar leid! Steht ihnen bei in dieser schweren, für sie schwersten Zeit! Ich habe ihnen immer noch Hoffnung gemacht – obwohl ich selbst gar keine mehr hatte – ich dachte nämlich, dass sie inzwischen nicht mehr hier sind und dadurch meine Hinrichtung nicht mehr erfahren. Aber nun müssen sie sich in das Unvermeidliche schicken und versuchen, das Schwerste zu tragen – genau, wie ich versucht habe, gefasst meinen schwersten Schicksalsschlag vor nunmehr fünf Monaten – als ich davon erfuhr – zu überwinden. Ganz bin ich nie damit fertig geworden, aber kein einziger Mensch hat erfahren, was ich damals durchgemacht habe. Na, Dir, liebe Mama, brauche ich wohl nicht erst zu sagen, wie sehr ich gelitten habe! –
Meinen Nachlass habe ich an Deine Adresse gehen lassen, liebe Mama, weil ich doch nicht weiss, wie lange meine lieben Eltern noch hier sind. Nun will ich Euch, meine liebe Mama, lieber Alfons-Papa, Rudi, Nanni, Stupsi, meine süssen Lieblinge Gertchen und Werner, noch meine letzten Grüsse sagen und alles erdenkliche Gute wünschen! Ganz besonders herzliche Grüsse an Erich, dem ich in Gedanken kräftig die Hand drücke. Auch den andern Verwandten, Familie Reetz, Neumann, Arndt u.s.w. letzte Grüsse.
Lasst mein kleines Muttchen und Vati nicht allein! Helft ihnen ein bisschen! Auch Euch danke ich für alles Liebe und Gute! Herzliche Abschiedsküsse Euch allen
von Eurer Marianne.
Quelle: Jüdisches Museum Berlin
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt