Hoffnungsträger

Wolfgang Leopold Lauinger
5. Sep. 1918

20. Dez. 2017

Steckbrief

Störenfriede – durch sie und mit ihnen bleiben wir lebendig.

Wolfgang Lauinger liebte Swing-Musik, für ihn ein Symbol der Freiheit. Marsch- und Volksmusik hingegen lehnte er ab – sie standen für Gleichschritt und Gehorsam. Er wollte selbstbestimmt leben, mit Freunden auf dem Main Boot fahren und Ausflüge ins Umland unternehmen. In ihrem Kreis fühlte er sich auch als Homosexueller geachtet, sicher und wohl.

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5. Sep. 1918

20. Dez. 2017
Zürich

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Frankfurt am Main

Wir hörten ja nur Marschmusik oder Volkslieder, und das ging einen irgendwann auf die Nerven, weil es ja mit Gleichschritt zu tun hatte.

Wir hörten ja nur Marschmusik oder Volkslieder, und das ging einen irgendwann auf die Nerven, weil es ja mit Gleichschritt zu tun hatte.

Wolfgang Lauinger liebte Swing-Musik, für ihn ein Symbol der Freiheit. Marsch- und Volksmusik hingegen lehnte er ab – sie standen für Gleichschritt und Gehorsam. Er wollte selbstbestimmt leben, mit Freunden auf dem Main Boot fahren und Ausflüge ins Umland unternehmen. In ihrem Kreis fühlte er sich auch als Homosexueller geachtet, sicher und wohl.

Im Januar 1940 wurde Wolfgang Lauinger zur Wehrmacht eingezogen. Doch schon nach wenigen Monaten kam der Befehl zur Entlassung – als „Halbjude“ war er unerwünscht. Zurück in Frankfurt schloss er sich dem „Harlem-Club“ an, einer Gruppe junger Swing-Begeisterter, die sich in Cafés und Parks trafen, tanzten und ihre Musik hörten – trotz aller Verbote. Lange Haare, auffällige Kleidung, auf Englisch geführte Gespräche – für das Regime war all das ein Affront. Der „Harlem-Club“ wollte sich nicht anpassen, sondern seinem Lebensgefühl treu bleiben.

Die Gestapo hatte die Frankfurter Swing-Szene längst im Blick, observierte ihre Treffpunkte, notierte Namen. Im Herbst 1941 schlugen sie zu. Der erste aus der Gruppe, der verhaftet wurde, war Franz Kremer. Zwei Monate lang saß er in Gestapo-Haft. Sie verhörten ihn, schlugen ihn, wollten ein Geständnis erzwingen: Er sollte bestätigen, dass Wolfgang Lauinger homosexuell sei. Doch Kremer schwieg. Vielleicht rettete er damit Lauingers Leben.

Anfang Dezember 1941 wurde auch Wolfgang Lauinger verhaftet. Der Vorwurf: das Hören von „Feindsendern“ und anglophile Tendenzen. Bis zu seinem Prozess im März 1942 saß er in Einzelhaft in der Frankfurter Klapperfeldgasse. Doch weder die Hausdurchsuchungen noch die Verhöre lieferten etwas Belastendes, dennoch verurteilte ihn das Gericht schließlich wegen illegalen Glücksspiels und des Besitzes eines Stücks Leder zu drei Monaten Haft. Insgesamt verbrachte er sieben Monate im Gefängnis. Nach seiner Freilassung im Juni 1942 tauchte er bis Kriegsende bei seiner Mutter in Pforzheim unter.

1950 wurde Wolfgang Lauinger im Zuge des Frankfurter Homosexuellenprozesses verhaftet – wie viele andere auch unter dem Vorwurf, gegen § 175 StGB verstoßen zu haben. Sechs Monate saß er ohne Anklage in Einzelhaft und wurde erst im Februar 1951 freigesprochen.
In den 1970er-Jahren war er Mitbegründer der Jugendburg Balduinstein und trat als Zeitzeuge auf. Bildung sah er als Schlüssel zur Stärkung der Demokratie. Er kämpfte für die Rehabilitierung der nach § 175 StGB Verurteilten und forderte die Aufarbeitung nationalsozialistischer Einflüsse in der Justiz der frühen Bundesrepublik.

Anfang 2017 verabschiedete die Bundesrepublik ein Gesetz zur Entschädigung der nach dem 1994 abgeschafften § 175 StGB Verfolgten. Lauinger beantragte daraufhin eine Entschädigung für seine Haftzeit in den Jahren 1950/51, doch im Herbst 2017 wurde sein Antrag abgelehnt – mit der Begründung, dass er damals freigesprochen worden war.

Trotz aller Rückschläge ließ sich Wolfgang Lauinger nie unterkriegen – er blieb ein humorvoller Freigeist, der für seine Überzeugungen kämpfte.

Quellen: Das Lauinger Archiv im Jüdischen Museum Frankfurt am Main; Raimund Wolfert: Lauinger, Wolfgang. Das Frankfurter Personenlexikon. Ein Projekt der Frankfurter Bürgerstiftung. Lauinger, Wolfgang; Bettina Leder: Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland. (Jüdische Memoiren, Band 26). Berlin 2015.

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