Hoffnungsträger

Leipziger Meuten

Bodenrelief

Bis die Sterne zittern.

In Leipzig, Ende der 1930er Jahre, wächst eine Jugendbewegung heran, die den nationalsozialistischen Gleichschaltungsdruck bewusst ignoriert. Während Gleichaltrige in der Hitlerjugend marschieren, Fahnen grüßen und Parolen rufen, gehen sie einen anderen Weg: Freiheit statt Gehorsam. Musik statt Marsch. Freundschaft statt Führerkult.

Personen:
Wolfgang Schieweg

Wäre ich gerannt, hätte der Tag einen anderen Ausgang genommen.
Doch ich rannte nicht – ob aus Leichtsinn, Angst oder Tapferkeit, das wusste nur die Sonne.

Wäre ich gerannt, hätte der Tag einen anderen Ausgang genommen.
Doch ich rannte nicht – ob aus Leichtsinn, Angst oder Tapferkeit, das wusste nur die Sonne.

In Leipzig, Ende der 1930er Jahre, wächst eine Jugendbewegung heran, die den nationalsozialistischen Gleichschaltungsdruck bewusst ignoriert. Während Gleichaltrige in der Hitlerjugend marschieren, Fahnen grüßen und Parolen rufen, gehen sie einen anderen Weg: Freiheit statt Gehorsam. Musik statt Marsch. Freundschaft statt Führerkult.

Sie nennen sich Meuten – und sie meinen es ernst.

Die Mitglieder kommen vor allem aus dem Arbeitermilieu. In Parks, an Badeseen oder auf Fahrradtouren in die Umgebung finden sie ihre Nischen. Dort spielen sie verbotene Musik, singen eigene Lieder, reden offen – Orte des freien Denkens inmitten eines repressiven Staates. In Leipzig gibt es über 20 dieser Gruppen: „Hundestart“, „Texas“, „Lille“ oder „Reeperbahn“. Zwischen 1937 und 1939 schließen sich bis zu 1.500 Jugendliche den Meuten an.

Ihr Erscheinungsbild ist Programm: karierte Hemden, Lederhosen, lange Haare, rote Halstücher, manchmal mit Totenkopf-Ansteckern. Keine Uniform. Kein „Heil Hitler“. Ihre Botschaft ist klar – anders sein. Viele verweigern den Eintritt in die HJ. Einzelne schreiben Parolen wie „HJ verrecke“ auf Flugblätter, andere greifen HJ-Mitglieder an, die sich abends nicht mehr allein auf die Straße trauen.

Dabei sind die Meuten keine klassische Widerstandsbewegung. Ihr Protest beginnt mit der Sehnsucht nach Selbstbestimmung: ein Jugendleben ohne Drill und Dogma. Doch gerade das macht sie für das NS-Regime gefährlich.

Verfolgung und Zerschlagung

Die Gestapo beobachtet die Meuten früh. Ihre Größe, ihre Standhaftigkeit – all das wird als Bedrohung wahrgenommen. 1939 folgt eine gezielte Verhaftungswelle. Rund 90 Jugendliche werden festgenommen – der Vorwurf: „staatsfeindliche Betätigung“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“. Einige landen in Zuchthäusern, Minderjährige in Umerziehungslagern. Manche von ihnen verschwinden später ganz – in Konzentrationslagern.

Damit endet die Geschichte der Leipziger Meuten – vorerst.

Doch ihr Beispiel bleibt: Eine Bewegung ohne zentrale Organisation, ohne politische Agenda – getragen allein von dem Wunsch, anders leben zu dürfen. In einer Zeit, in der das lebensgefährlich war.

Haltung statt Parole

Die Meuten zeigen, was Widerstand auch sein kann: ein stilles Nein, das laut wird, wenn man es nicht brechen kann. Keine großen Reden, keine Manifeste – aber ein entschlossener Alltag gegen ein System, das keine Abweichung duldete.

Der Widerstand Leipziger Jugendlicher ging weiter – ab 1942 unter neuen Namen wie den Broadway-Cliquen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Ardi Goldman Kunst-
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