Ringelblum-Archiv
Hoffnungsträger
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Das Untergrundarchiv im Warschauer Ghetto
Personen:
Emanuel Ringelblum
Alles muss festgehalten werden. Wenn die Zeit kommt – und sie wird gewiss kommen – soll die Welt es lesen und wissen.
Alles muss festgehalten werden. Wenn die Zeit kommt – und sie wird gewiss kommen – soll die Welt es lesen und wissen.
Bis 1939 war Warschau eines der wichtigsten kulturellen, religiösen und politischen Zentren des europäischen Judentums. Mit der deutschen Besatzung änderte sich alles. 1940 wurde ein Teil der Stadt zum Ghetto, in das die jüdische Bevölkerung unter katastrophalen Bedingungen gezwungen wurde. Überfüllte Straßen, Hunger und Krankheiten prägten den Alltag, Verzweiflung breitete sich aus. Mitten in diesem Chaos gründete der Historiker Emanuel Ringelblum im November 1940 ein geheimes Archiv. Unter seiner Leitung begann eine Gruppe von rund 60 Menschen, Zeugnisse des Leides, der Widerstandskraft und des Aufbegehrens im Warschauer Ghetto zu sammeln. Ihr Tarnname lautete Oneg Schabbat – „Freude am Sabbat“. Doch ihre Treffen an Samstagen galten nicht dem Feiern, sondern der Dokumentation des Ghettos. Ihre Aktivitäten gelten noch heute als beispielhaft für den zivilen Widerstand gegen die deutsche Besatzung in Polen.
Zur Gruppe gehörten Pädagogen, Schüler, Schriftsteller, Intellektuelle, ein Rabbiner, politisch und sozial engagierte Männer und Frauen. Sie sammelten alles, was das Leben im Ghetto widerspiegelte: Plakate, Zeitungsberichte, Dokumente, Statistiken, Lebensmittelkarten, etc. Doch auch persönliche Zeugnisse fanden ihren Platz – Tagebücher, Schulaufsätze, Gedichte, Familienfotos, Briefe und Postkarten. Sie hielten neben den Schrecken auch den Alltag von Theateraufführungen über Korruption bis zur Kollaboration Einzelner mit den deutschen Besatzern, fest.
Wäre die Arbeit der Gruppe entdeckt worden, hätte es ihren sofortigen Tod bedeutet. Doch sie machten weiter und das Archiv wuchs zur Chronik des Warschauer Ghettos und des besetzten Polens. Ab 1942 dokumentierten sie auch die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und schmuggelten Berichte über die Massenmorde zur polnischen Exilregierung in London – ein verzweifelter Versuch, die Welt zum Handeln zu bewegen. Am 22. Juli 1942 begannen auch im Warschauer Ghetto die Deportationen. Innerhalb von zwei Monaten wurden rund 280.000 Männer, Frauen und Kinder nach Treblinka verschleppt und ermordet. Es wurde höchste Zeit das Archiv zu retten. Die Mitglieder von „Oneg Schabbat“ versteckten ihre bisherigen Aufzeichnungen in Metallkisten und Milchkannen, vergruben sie an verschiedenen Orten im Ghetto – in der Hoffnung, dass jemand sie eines Tages finden würde.
Wie durch ein Wunder wurden 1946, unter den Trümmern des zerstörten Ghettos, Teile des Archivs entdeckt. Knapp 30.000 Seiten überstanden die Vernichtung. Mit dem „Oneg Schabbat“-Archiv hinterließen Emanuel Ringelblum und seine Mitstreiter der Nachwelt ein einzigartiges und unschätzbares Zeugnis über das Leben und den Widerstand im Warschauer Ghetto. Die Sammlung bewahrt nicht nur die Erinnerung an die jüdische Gemeinschaft, sondern zeigt auch, dass die Menschen im Ghetto nicht nur Opfer waren – sie leisteten Widerstand, dokumentierten ihr Schicksal, unterstützten einander und hielten trotz unmenschlicher Bedingungen an ihrer Kultur und Identität fest. Die Stimmen der Ghettobewohner sind nicht verstummt. Sie klingen weiter, bewahrt im Ringelblum-Archiv.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt