Haefner Split and sprout, 2024
Der Kunstparcours
Split and sprout, 2024
Die Spannung zwischen zwei Polen prägt meinen künstlerischen Prozess: Die Herausforderung, mit einem anspruchsvollen Material zu arbeiten, das wenig verzeiht, trifft auf die Leichtigkeit, die sich aus der Fülle an künstlerischen Möglichkeiten ergibt. Meine Arbeiten tragen genau diese Ambivalenz in sich – die Balance zwischen Kontrolle und Spiel. Letztlich denke ich, dass diese Dualität auch die Essenz des Künstlerseins verkörpert: Das ständige Hinterfragen der eigenen Arbeit, das Schwanken zwischen Unsicherheit und Euphorie, zwischen Anspannung und Befreiung.
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Ein Blick hinter das Werk
Diane Haefner erschafft mit ihren Porzellanskulpturen einen eigenständigen, vielschichtigen Kosmos. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten sind oftmals eigene Körperabformungen sowie medizinische oder technische Anschauungsmodelle, die sie in eigens entwickelte Gussformen überführt. In einem präzisen und zugleich intuitiven Prozess verschmilzt sie die daraus entstehenden Fragmente zu hybriden Gebilden, in denen vertraute Formen kippen und ins Unbekannte übergehen. Die Skulpturen oszillieren zwischen anatomischer Präzision und surrealer Körperfantasie, sie wachsen, wuchern, drängen sich auf oder ziehen sich zurück. Zentral ist für Haefner dabei die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper und der Frage nach haptischen Empfindungen im Zeitalter digitaler Entkörperlichung.
Für das Union-Areal bespielt Haefner die Unterseite eines acht Meter langen Balkons mit einer ortsspezifischen Installation namens split & sprout, die aus rund zwanzig kleinformatigen Porzellanplastiken besteht. Sie hängen in unterschiedlicher Dichte und Höhe von der Decke herab und formieren sich zu einer Art unterirdischem Garten. Die Basis der Skulpturen sind Kartoffeltriebe – ungewollte Keimlinge, die im Verborgenen gedeihen. In ihrer hängenden Anordnung, die sowohl dichte Cluster als auch isolierte Einzelformen umfasst, evoziert die Installation Assoziationen an Stalaktiten oder kryptische, organische Entitäten.
Die Wahl der Kartoffeltriebe als formales Element verweist auf das Ungewollte und Übersehene. Als Nebenprodukt der Lagerung entstehen diese Triebe im Dunkeln und entziehen sich der menschlichen Kontrolle. Im Kontext der Installation werden sie jedoch aus ihrem ursprünglichen Umfeld herausgelöst und ins Sichtbare transponiert.
In Anlehnung an die US-amerikanische Denkerin Donna Haraway, emeritierte Professorin für feministische Theorie, Technowissenschaften und Naturwissenschaftsgeschichte und ihr Konzept des „Staying with the Trouble“ verweigern sich die Kartoffeltriebe einer anthropozentrischen Lesart. Sie existieren nicht für den Menschen, sondern fungieren als stille, widerständige Protagonisten, deren fragile Schönheit und organische Formensprache die Potenziale des Ungeplanten und die Resilienz des Lebens selbst unter widrigsten Bedingungen offenbaren und sich einer Logik von Effizienz und Verwertbarkeit entziehen.
In ihrer bizarren, fast magischen Ästhetik stehen sie im Kontrast zu ihrem Ursprung. Sie sind ungenießbar, nicht gewollt und doch von eigentümlicher Schönheit. Die überraschend faszinierende Farbigkeit der Porzellanoberflächen verleiht den Objekten eine beinahe leuchtende Präsenz, die die organischen Formen zusätzlich verfremdet. Die ungewöhnliche Platzierung unter dem Balkon verstärkt diese Irritation:
Aus der Ferne können die Gebilde an Stalaktiten, an schlafende, tierähnliche Wesen oder an Auswüchse einer imaginären Unterwelt erinnern. Zwischen Dunkelheit und Glanz, Form und Unform öffnet sich ein Bildraum, der an die fantastischen Höllenlandschaften eines Hieronymus Bosch denken lassen mag, an einen Feuerschlund, in dem sich das Ungewollte materialisiert und grotesk weiterlebt.
Flora oder Fauna? Natürliches oder Künstliches? Die Installation spielt mit Ambivalenzen und öffnet Räume für individuelle Lesarten. Die darunter liegenden Treppenstufen laden Besucherinnen und Besucher dazu ein, sich der Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen zu nähern, Perspektiven zu wechseln und den Blick für das Unsichtbare zu schärfen. Diane Haefner gelingt es, das scheinbar Nebensächliche in den Mittelpunkt zu rücken und einen poetischen wie kritischen Dialog über Körper, Wahrnehmung und Materialität anzustoßen.
Über die Künstler:in
Die Künstlerin Diane Haefner (*1994 in Heidelberg) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Seit 2024 leitet sie in Teilzeit die Keramikwerkstatt der HfG (Hochschule für Gestaltung) in Offenbach am Main und befasst sich innovativ und experimentell mit dem Werkstoff Porzellan. Ihre Arbeiten wurden neben Ausstellungen in Hamburg, Leipzig, Berlin und Frankfurt am Main auch im Kunstverein Bielefeld und Kunstraum G10 in Darmstadt gezeigt.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt