Der Kunstparcours

Ben Greber

Umspannwerk 7 Isolatoren / Umspannwerk +5 Grad, 2024

Dimension variable

In meiner Arbeit untersuche ich eine im Zuge von technischer Entwickelung voranschreitende Entgegenständlichung und die damit verbundenen Auswirkungen auf unsere Vorstellung von Realität. Ich halte diese Entgegenständlichung und den daraus resultierenden Verlust der Sichtbarkeit aller gesellschaftlicher Prozesse und Zusammenhänge für ein wesentliches Charakteristikum unserer Zeit und versuche, das Phänomen mit skulpturalen Mitteln sichtbar zu machen. Ich arbeite dazu unter anderem fortlaufend an 6 Zyklen, deren Ausgangsbasis jeweils eine gegenständliche, aus Pappe gebaute Skulptur bildet, die im Laufe der Jahre sukzessive zerlegt und in Vitrinen-artigen „Screens“ und Gestell-artigen „Präsentationsarchitekturen“ archiviert wurde.

Ben Greber lebt und arbeitet in Eberswalde und Berlin, DE.
*1979 in Halle, DE

EDUCATION

Diplom, Freie Kunst: Kunstakademie Münster

GRANTS, AWARDS, RECOGNITION

2021 VISIT Arbeitsstipendium, E.ON Stiftung für Energie und Gesellschaft, Essen
2024 Kallmannpreis, Ismaningen

Ein Blick hinter das Werk

Die oft minimalistisch anmutenden Installationen von Ben Greber thematisieren das Verschwinden jeglicher Sichtbarkeit menschlicher Eingriffe und gesellschaftlicher Prozesse. Beide Arbeiten für das Union-Areal gehören zum Zyklus Umspannwerk. Ausgangspunkt ist dabei die Arbeit Umspannwerk von 2008: eine etwa 2 × 2 × 2 m große Raumsituation, deren Zugang durch ein Gitter, angelehnt an die Struktur eines Beichtstuhls, verschlossen war.

Im Inneren: ein beleuchteter, gefliester Raum mit Waschbecken, Abfluss und Medizinschrank. Auf dem Raum stand ein Hochspannungsmast mit sechs Isolatoren. Die Skulptur war etwa fünf Meter hoch und vollständig aus Pappe gefertigt. Zwischen 2014 und 2017 wurde die Arbeit schrittweise zerlegt. Die einzelnen Materialien und Komponenten wurden in Vitrinen – vom Künstler „Screens“ genannt – archiviert. Ziel war es, der Skulptur ihre Gegenständlichkeit zu entziehen. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit die ursprünglichen Themen nach dem Prozess der Zerlegung weiterhin lesbar bleiben: Schuld, Vergebung, Katharsis.

Bis 2023 arbeitete Greber an der großformatigen Installation Umspannwerk DAS GROSSE DANACH, die 2023-2024 in der Kunsthalle Esch in Luxemburg gezeigt wurde. Unter Verwendung von abgegossenen Fundstücken aus einem stillgelegten Stahlwerk, etwa Isolatoren, Sockel mit Kerzenresten (Spuren illegaler Technopartys) und Nachbauten der ursprünglichen Motive (Waschwannen, Medizinschränke) entsteht ein komplexer Überbau, der die inhaltlichen Komponenten der ersten Pappskulptur in reale Orte und Objekte überträgt.

Hier erscheint auch erstmals der sogenannte „Auschwitz-Isolator“ in siebenfacher Form. Der Kunsthistoriker und -kritiker Raimund Stecker beschreibt Grebers Werk als durchzogen von einem biografischen roten Faden. Die wiederkehrenden Motive, insbesondere der Isolator, verweisen auf persönliche und familiäre Kontexte. So stand auf dem Fensterbrett des Vaters über Jahre ein vermeintlicher Kerzenständer, der sich später als ein vom Wachzaun des KZ Auschwitz stammender Isolator herausstellte.

Ben Greber entwendete diesen als Jugendlicher und benutzte ihn in Unkenntnis seiner ursprünglichen Funktion als Kerzenständer. Wachsflecken auf den Abgüssen zeugen noch von der jugendlichen Aneignung des Objekts.

Grebers Vater, Jahrgang 1944, beschäftigte sich zeitlebens mit der NS-Vergangenheit seiner eigenen Eltern.

Bilder und Texte durchzogen das häusliche Umfeld, darunter ein Ölgemälde, das seine Frau, Ben Grebers Mutter, im Badeanzug in der Gaskammer von Auschwitz I zeigt und seit Jahrzehnten im Wohnzimmer der Familie hängt. Der Isolator wurde auf einer Reise Anfang der 1980er-Jahre in Auschwitz gefunden, als die Gedenkstätte noch nicht museal überformt war. Für Ben Grebers Vater war er ein Sichtbarmacher des Nicht-Fassbaren.

Der Isolator ist in Grebers Werk nicht nur ein Symbol für das Dritte Reich und die NS-Vergangenheit der eigenen Familie, sondern auch für die Verarbeitungsversuche des Vaters und den gleichsam entrückten Umgang des Sohnes als Teenager damit. NS-Geschichte, familiäre Täterschaft und das Lager Auschwitz bilden das Grundmotiv des gesamten Umspannwerk-Zyklus, auch der frühen Version von 2008.

 

Umspannwerk +5° III

Am Eingang des stillgelegten Werksgeländes der Ardelt Kranbau GmbH in Eberswalde (später Thyssen Rothe Erde) steht eine elektromechanische Temperaturanzeige, die am Tag der Betriebsschließung mutmaßlich bei + 5 °C stehen blieb, als der Strom abgeschaltet wurde.
Parallel zur Arbeit an Umspannwerk DAS GROSSE DANACH in Luxemburg begann Greber mit der künstlerischen Erkundung dieses Geländes. Hinter dem Werk liegen Backsteinbaracken, errichtet im Zweiten Weltkrieg zur Unterbringung von „etwa 1000 Zwangsarbeiterinnen“, vorwiegend Frauen aus dem Warschauer Ghetto. In der benachbarten Industrieanlage mussten sie Munition herstellen. Es handelte sich um eine Außenstelle des KZ Ravensbrück.
Ein Blick von den Baracken auf das ehemalige Werksgelände führt durch das offene Gehäuse der Temperaturanzeige, wodurch der Schriftzug „+5°“ in Spiegelschrift erscheint. Diese Blickachse wird zur letzten sichtbaren Spur der NS-Geschichte des Ortes. Heute befindet sich in den Baracken das linke Jugendzentrum EXIL, das sich intensiv mit der Geschichte des Ortes auseinandersetzt und Erinnerungsarbeit leistet.
Die Temperaturmarke verweist zugleich auf den Zeitpunkt des Stillstands, möglicherweise aber auch auf die bevorstehende Erhitzung der Welt.
Die Vorstellung, dass in hundert Jahren ein durch Klimakatastrophen unbewohnbarer Planet keine sichtbaren Spuren seiner Ursachen mehr zeigt, ist ein zentraler Gedanke dieser Arbeit. Vielleicht bleiben nur überwucherte Mauerreste. Die Verbindung von Stahlindustrie, NS-Vergangenheit und Klimafrage bildet ein vielschichtiges Spannungsfeld, das Greber künstlerisch verarbeitet.

Über die Künstler:in

Der Künstler Ben Greber (*1979 in Halle) arbeitet seit 2010 in Eberswalde und in Berlin. Eine fortschreitende Entgegenständlichung, die Grebers Werk auszeichnet, war Thema seiner internationalen Einzelausstellungen, wie 2022 bei 515 Bendix in Los Angeles (USA) oder 2023 in der Kunsthalle Esch in Luxemburg. Neben Arbeitsstipendien gewann er 2024 den Kallmannpreis, es folgte die Ausstellung „Fall und Gegenwart“ im Kallmannmuseum Ismaning.

Ardi Goldman Kunst-
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