John Otto
Hoffnungsträger
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PORTRAIT

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Ein Spielball widerstreitender Mächte im Kalten Krieg.
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Ich komme mir vor, als läge ich verunglückt im Straßengraben und sähe die Menschen mit stur abgewandtem Gesicht an mir vorübergehen, damit sie mich nicht sehen und mir zu helfen brauchen.
Untersuchungshäftling Otto John, ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, in einem vom 4. Mai datierten Privatbrief.
Ich komme mir vor, als läge ich verunglückt im Straßengraben und sähe die Menschen mit stur abgewandtem Gesicht an mir vorübergehen, damit sie mich nicht sehen und mir zu helfen brauchen.
Der Jurist Otto John arbeitete von 1937 bis 1944 als Justiziar bei der Lufthansa. Über seinen Chef Klaus Bonhoeffer knüpfte er gemeinsam mit seinem Bruder Hans Kontakte zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus und beteiligte sich an den Planungen für das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Nach dem Scheitern des Anschlags wurde sein Bruder, wie viele andere Widerstandskämpfer, verhaftet und ermordet. John selbst gelang die Flucht nach London, wo er nach kurzer Internierung ab November 1944 für den britischen Propagandasender „Soldatensender Calais“ arbeitete.
Nach Kriegsende sagte Otto John als Zeuge der Anklage u.a. bei den Nürnberger Prozessen aus. Am 17. November 1951 wurde er zum ersten Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt. Damit war er einer der wenigen ehemaligen Widerstandskämpfer, die eine hohe Position in der Verwaltung der neuen Bundesrepublik innehatten. John musste bald erfahren, dass er als Verfassungsschutz-Chef in seiner eigenen Behörde von alten Nazis umgeben und isoliert war. Reinhard Gehlen, zum Beispiel, der den Auslandsgeheimdienst aufbaute und später Chef des Bundesnachrichtendienstes wurde, befehligte während der NS-Zeit in der Wehrmacht die Abteilung „Fremde Heere Ost (FHO)“. Umgekehrt sahen Gehlen, Konservative und Militärs in dem früheren Widerständigen und Emigranten John noch immer den Verräter. Ein Konflikt, der zwischen den konkurrierenden Geheimdiensten in der neuen BRD schwelte.
Auf der ersten öffentlichen Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1954 verschwand Otto John nach der Veranstaltung im Bendlerblock in Berlin-West spurlos. Zwei Tage später tauchte er in der DDR wieder auf. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des deutschen Inlandsgeheimdienstes, läuft in den Osten über. Im Kalten Krieg erschüttert diese Affaire die junge BRD.
Bis heute ist ungeklärt, ob John freiwillig ging, wie er während einer Pressekonferenz am 11. November 54 im Radio DDR erzählte oder ob er entführt wurde, wie John nach seiner Rückkehr in die BRD am 12. Dezember 1955 erklärte. Unklar ist auch, warum er wieder zurückkam. In West-Deutschland wird er wegen Landesverrats zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Bundespräsident Theodor Heuss begnadigte John am 26. Juli 1958. Wieder in Freiheit, versuchte er bis zu seinem Lebensende sich zu rehabilitieren, was ihm nicht gelang.
Quelle: Florian Schimikowski: Überläufer oder Entführungsopfer? Am 23. Juli 1954 gibt BfV-Präsident Otto John seinen Übertritt in die DDR bekannt. Deutsches Spionagemuseum, Geschichte, Otto John, online.
Benjamin Carter Hett, Michael Wala: Otto Patriot oder Verräter: Eine deutsche Biografie. Rowohlt, Hamburg 2019.
Otto John: Falsch und zu spät. Der 20. Juli 1944. Epilog. Frankfurt am Main 1989.
Otto John: Zweimal kam ich heim. Vom Verschwörer zum Schützer der Verfassung. Düsseldorf und Wien 1969.
Alte Freunde, neue Feinde. Historische Miniserie im Auftrag von ARD.
Deutschland 2023.
Begleitend zur Serie „Bonn“ gibt es eine Dokumentation zu den in der Serie behandelten historischen Ereignissen: „Alte Freunde, neue Feinde“. ARD 2023;
eine Geschichtsdokumentation mit dem Titel „Ständige Vertreter – Die Bonner Kanzlerjahre“; außerdem eine sechsteilige Dokumentation „Die Spioninnen“.
ARD-Mediathek.
Otto John – Eine deutsche Geschichte. Buch/ Regie: Erwin Leiser. Biopic.
Deutschland/Schweiz 1995.
Thomas Klug: 12 1955 – DDR-Überläufer Otto John kehrt zurück. Redaktion: Ronald Feisel. WDRZeitzeichen vom 12. Dezember 2020.
Ed Stuhler: Frontwechsel – Der Fall Otto John. Deutschlandfunk-Archiv vom 20. Juli 2004.
Klaus Bonhoeffer (1901–1945) war ein deutscher Jurist und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Als Mitglied des Kreisauer Kreises und Beteiligter am Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er verhaftet und kurz vor Kriegsende von den Nationalsozialisten hingerichtet.
Die Nürnberger Prozesse (1945–1946) waren internationale Gerichtsverfahren gegen führende NS-Verbrecher wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Sie legten den Grundstein für das moderne Völkerstrafrecht.
Der Kalte Krieg (1947–1991) war der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion, geprägt von ideologischer Rivalität, Wettrüsten und Stellvertreterkriegen, ohne direkte Kriegshandlungen zwischen den Supermächten.
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