Linde DIRTY MINIMAL #33.3- Bullet Action-Painting / Machine Cannon, 2006
Der Kunstparcours
DIRTY MINIMAL #33.3- Bullet Action-Painting / Machine Cannon, 2006
EDUCATION
Círculo de Bellas Artes with Prof. Richard Artschwager, Madrid
M.A. Hochschule für bildende Künste Hamburg
GRANTS, AWARDS, RECOGNITION
2022 Paula Modersohn Becker Kunstpreis
- zum Standort navigieren
Ein Blick hinter das Werk
Das auf dem Union-Areal präsentierte Werk stammt aus einer Werkgruppe, welche die Künstlerin in den Jahren 2005–2008 in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr erarbeitet hat. Diese außergewöhnliche Kooperation steht beispielhaft für Almut Lindes künstlerische Praxis, in der sie gesellschaftliche Systeme nicht nur beobachtet, sondern in sie eindringt, um ihre Strukturen von innen heraus sichtbar zu machen.
Almut Linde, die als Bildhauerin, Konzeptkünstlerin und Fotografin arbeitet, gehört zu den zentralen Stimmen einer politisch reflektierten Gegenwartskunst. Bereits in den 1990er-Jahren entwickelte sie mit dem Begriff Dirty Minimal ein künstlerisches Konzept, das die formale Strenge der Minimal Art mit der sozialen und materiellen Unordnung der Realität verbindet. Damit reagierte sie auf einen Kunstbegriff, der sich ihrer Ansicht nach zu sehr in Selbstreferenzialität und ästhetischer Autonomie verfangen hatte. Linde wollte Kunst wieder in Beziehung zur Welt setzen, zu Machtverhältnissen, zu gesellschaftlichen Strukturen, zu den Bedingungen menschlicher Existenz. Ihr Credo lautet daher: „Mein Atelier ist die Welt.“
In ihrer Arbeit DIRTY MINIMAL #33.3 – Bullet Action-Painting / Machine Cannon untersucht Linde das Spannungsfeld von Ordnung und Chaos, Befehl und individueller Geste, Gewalt und Ästhetik. Im Rahmen einer militärischen Übung ließ sie Soldaten auf von ihr aufgestellte Glasplatten feuern. Die Einschüsse, Splitterungen und Druckwellen der Projektile hinterließen Spuren, die wie spontane Malgesten wirken – Spuren, die aber aus einem Kontext der absoluten Kontrolle und Hierarchie hervorgehen. So verwandelt sich eine militärische Routinehandlung in ein ästhetisches Experiment: Ein Bild entsteht durch Energie, Mechanik und Macht.
Der Titel des Werks verweist auf diese doppelte Lesbarkeit. „Bullet Action-Painting“ zitiert den Begriff des Action Painting, wie ihn etwa Jackson Pollock geprägt hat, überführt ihn jedoch in einen militärischen Zusammenhang: Hier ersetzt das Projektil den Pinsel, der Schuss wird zum Akt der Bildwerdung. „Machine Cannon“ benennt die technische und institutionelle Realität dieser Aktion, die Maschine als Werkzeug, das System als Produzent.
Linde interessiert sich nicht für das Dokumentieren, sondern für das Offenlegen von Mechanismen. Indem sie in den geschlossenen Raum des Militärs eindringt, untersucht sie, wie kollektive Disziplin, Gehorsam und Funktionalität in ästhetische Formen übersetzt werden können – und wo dabei individuelle Abweichungen sichtbar werden. Ihre Projekte führen vor Augen, dass selbst innerhalb streng regulierter Systeme Risse und Differenzen entstehen, in denen sich das Subjekt kurzzeitig behauptet.
Im Konzept des Dirty Minimal stehen sich zwei Pole gegenüber: Minimal bezeichnet das klare, konzeptuelle Grundgerüst – eine einfache Form, eine präzise Anweisung, ein reduziertes Setting. Dirty verweist auf das Unkontrollierbare, das Reale, das Zufällige, das in diesen Rahmen eindringt. Die entstehende Arbeit ist daher immer eine Spur des Aufeinandertreffens von Idee und Welt, von Struktur und Leben.
Mit DIRTY MINIMAL #33.3 – Bullet Action-Painting / Machine Cannon führt Almut Linde die Prinzipien der Minimal und Concept Art in einen Bereich, in dem Kunst traditionell nicht verortet ist. Indem sie die Ästhetik des Militärischen mit den Strategien der Kunst konfrontiert, öffnet sie einen Raum der Reflexion über Macht, Verantwortung und Wahrnehmung. Das Werk fragt, wie sich Gewalt in Form übersetzt und ob sich in dieser Form auch eine Kritik der Gewalt artikulieren lässt.
So wird aus einer Übung in Gehorsam ein Experiment über Freiheit. Aus einem Akt der Zerstörung entsteht ein Bild. Und aus der präzisen Form der Minimal Art wird in Almut Lindes Händen ein Instrument zur Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Über die Künstler:in
Die Künstlerin Almut Linde (*1965 in Lübeck) gründete die Künstlergruppe „Linde Ludena Sierra“, die von 1989 bis 1994 in Madrid aktiv war. Bis 1994 studierte sie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Seit den 2000er-Jahren folgten zahlreiche Einzelausstellungen im DA2 Salamanca, Matadero Madrid, im Kunstpalais Erlangen, dem Kunstverein Braunschweig, im Chapter Cardiff sowie Ausstellungen u. a. in der Kunsthalle Mannheim und der Kunsthalle Hamburg. Für ihr künstlerisches Werk erhielt sie u. a. Förderungen durch die Stiftung Kunstfonds, das Irish Museum of Modern Art sowie den HAP-Grieshaber- und den Paula Modersohn Becker Kunstpreis. Seit 2016 ist sie Professorin für interdisziplinäre künstlerische Praxis an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
60386 Frankfurt