Rocco Installation „11:6“
Der Kunstparcours
Installation „11:6“
Das Wichtigste ist tatsächlich die erleichternde Gewissheit, dass Kunst auch außerhalb der Galerie- und Art-Fair-Bubble funktionieren kann, wo Erfolg an getrunkenem Crémant auf Eröffnungspartys gemessen wird. Und dass man sich den Schlüssel zur Stadt selber basteln kann.
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Ein Blick hinter das Werk
Die Installation „11:6“ ist ein radikaler Umdenk-Raum. Sie spielt mit der ikonischen Ästhetik von Kirchenfenstern, die in die Architektur sakraler Räume eingeschrieben sind. Farbig, lichtdurchflutet, spirituell erhebt sich der Blick an den Himmel. Doch wer nur beim ersten Blick verharrt, verpasst die ärgste Irritation. Die Fenster – Originale aus verschiedenen europäischen Kirchenhäusern – wurden umgedreht an Fassaden installiert. Form und Bedeutung geraten in ein erschütterndes Paradox: Wo einst Licht gen Himmel strebte, stürzt es nun zur Erde. Die Formation wirkt chaotisch, fallend, wie ein Hagel aus bunten, bombenhaften Glassplittern. Verstärkt wird dieses Gefühl durch Elemente, die an Lenksysteme von Fliegerbomben erinnern.
Die farbenprächtigen Scheiben, mit weißem Plexiglas hinterlegt und passiv von hinten beleuchtet, erzeugen die Illusion sanften Sonnenlichts und sind zugleich ein Symbol der Verwüstung. Die Basisebene ist sakral, aber die Bildwirkung ist militant.
Die Umkehrung symbolischer Formen ist hier nicht nur visuelle Provokation, sie hat eine tiefgreifende Bedeutung: Ein umgedrehtes Kreuz, bekannt als Petruskreuz oder „Kreuz des Südens“, kann für Ablehnung des christlichen Glaubens stehen; umgedrehte Flaggen signalisieren Notstände. „11:6“ nimmt diese symbolischen Umkehrungen auf und ordnet sie neu: Die Fenster sind gefallen, fliegen, stürzen – Sinnbilder für den Bruch zwischen Tradition und tatsächlichen Zuständen.
Der Titel ist ein Verweis auf den Bibelvers, der mit Psalm „11:6“ zitiert wird: „Auf die Schuldigen wird er Feuer und Schwefel regnen lassen, und der Glutwind wird sie versengen.“ Das bringt es auf den Punkt: Das lichte, sakrale Motiv wird zur Drohung, die Umkehrung zum Spiegel – und die bunten Fenster zu stummen Mahnern. „11:6“ ist ein Kunstwerk, das die sakrale Ikonografie aufbricht, Irritation schafft und über Schuld, Erinnerung und die Widersprüche öffentlicher Symbolik nachdenken lässt.
Über die Künstler:in
Rocco und seine Brüder – Installation „11:6“
Geboren Mitte der 1980er-Jahre gehört der Kern des Kollektivs seit Anfang der 2000er-Jahre fest zur Berliner Graffitiszene. Ihre Praxis begann im Terrain autonomer Kunst und vereinnahmte den öffentlichen Raum von Beginn an – über Straßenkultur, satirische Eingriffe und politisch motivierte Kunstaktionen. Im Januar 2016 formierte sich daraus das Kollektiv „Rocco und seine Brüder“. Der gewählte Name ist unter anderem in Anlehnung an Luchino Viscontis Film „Rocco und seine Brüder“ (Rocco e i suoi fratelli, 1960) – ein Meisterwerk des italienischen Nachkriegskinos – entstanden. Seither initiiert das Kollektiv großformatige Installationen im öffentlichen Raum.
Aufgrund ihrer Anonymität können die KünstlerInnen subversive Aktionen umsetzen, die sich oft an der Grenze zur Illegalität bewegen. Ihre ästhetische Strategie lässt alltägliche Objekte, künstlerisch neu inszeniert, als scharfe Spiegel gesellschaftlicher Verblendung und kapitalistischer Missstände auftreten.
Bereits ihr erstes Projekt, das sogenannte „Berliner U-Bahn-Zimmer“, erzielte ein enormes mediales Echo. Seither ist die Öffentlichkeit nicht mehr nur Bühne, sondern auch Teil der Aktion. In der Praxis verschmelzen Kunst und Aktivismus, Missstände erscheinen unter den Augen der Gesellschaft, ohne sich ihr augenfällig zu präsentieren („hidden in plain sight“). 2018 entstand der Film „Blaues Licht“, in dem queere, migrantische Perspektiven und urban-kulturelle Codes dekonstruiert und neu befragt wurden, die im Werk des Kollektivs zentral sind und die Formensprache des Kollektivs erweiterten.
Ardi Goldman Kunst-
und Kulturstiftung gGmbH
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