Hoffnungsträger

Aurelia Reichert-Wald
1. Juli 1914

1. Januar 1962

PORTRAIT

Aurelia „Orli“ Reichert-Wald wurde am 1. Juli 1914 in Bourell (Frankreich) in eine Arbeiterfamilie geboren und wuchs in Trier auf. Ihr Vater und ihre Brüder waren Mitglieder der KPD. Früh politisiert trat sie in den 1920er-Jahren dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD) bei. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialistenengagierte sie sich im Widerstand. 1935 heiratete sie Fritz Reichert, ebenfalls KJVD-Mitglied.
1. Juli 1914

1. Januar 1962
Bourell bei Maubeuge

·

Ilten

Nachts standen die Toten von Auschwitz wieder auf.

Nachts standen die Toten von Auschwitz wieder auf.

Aurelia „Orli“ Reichert-Wald wurde am 1. Juli 1914 in Bourell (Frankreich) in eine Arbeiterfamilie geboren und wuchs in Trier auf. Ihr Vater und ihre Brüder waren Mitglieder der KPD. Früh politisiert trat sie in den 1920er-Jahren dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD) bei. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialistenengagierte sie sich im Widerstand. 1935 heiratete sie Fritz Reichert, ebenfalls KJVD-Mitglied. Doch unter dem Druck des NS-Regimes wandte er sich vom Widerstand ab und forderte dasselbe von Orli. Sie weigerte sich. Im Juni 1936 wurde sie verraten, verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Während ihrer Haft ließ ihr Mann sich scheiden. Nach der Haftzeit im Gefängnis Ziegenhain wurde Orli nicht freigelassen, sondern als politische Gefangene in „Schutzhaft“ genommen zunächst nach Ravensbrück, dann ab dem 26. März 1942, in Auschwitz-Birkenau.

Dort erhielt sie die Häftlingsnummer 502 und wurde zur Lagerältesten im Krankenrevier des Frauenlagers. Sie erlebte, wie SS-Ärzte, darunter Josef Mengele, grausame Menschenversuche durchführten – selbst an Kindern. Wo sie nur konnte, half Orli ihren Mitgefangenen: Sie wurde Teil des deutschen Lagerwiderstands, schmuggelte Essen und fälschte Krankenakten, um Leben zu retten. Viele nannten sie deshalb den „Engel von Auschwitz“. Doch nicht alle konnten gerettet werden. In ihrer späteren Erzählung Das Taschentuch schilderte sie das Schicksal eines blinden Mädchens, dem sie trotz aller Bemühungen nicht helfen konnte.

Im Januar 1945 wurde Orli auf einen Todesmarsch in Richtung KZ Malchow geschickt. Dort gelang ihr die Flucht, doch sie geriet in die Hände sowjetischer Soldaten und wurde erneut Opfer von Gewalt. Trotzdem überlebte sie – nach insgesamt neun Jahren Haft war sie endlich frei.

Ende 1945 kam sie gesundheitlich schwer angeschlagen ins Sanatorium Sülzhayn, wo sie Eduard Wald begegnete. Beide waren im Widerstand, hatten Konzentrationslager überlebt und suchten einen Weg zurück ins Leben. 1947 heirateten sie. Eduard ermutigte Orli, ihre Erinnerungen aufzuschreiben – in der Hoffnung, das Erzählen könne ihr helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Doch jeder Versuch rief schmerzhafte Erinnerungen wach.

1960 bat sie der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein, im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess auszusagen. Für eine persönliche Aussage vor Gericht war Orli jedoch zu geschwächt – stattdessen unterstützte sie ihn, indem sie zusammen eine Liste der Täter erstellten. Sie erinnerte sich an jedes Gesicht, jede Tat. Als 1961 der Eichmann-Prozess in Israel begann, holten sie die Bilder der Vergangenheit erneut ein. Orli erlitt einen Zusammenbruch. In einer psychiatrischen Klinik kämpfte sie mit quälenden Schuldgefühlen, nicht genug für ihre Mitgefangenen getan zu haben. Am 1. Januar 1962 starb sie. Nach allem, was sie erlebt hatte, fand ihre Seele nun Ruhe.

Orli Reichert-Wald widersetzte sich mutig dem Terror des Nationalsozialismus – und blieb dennoch menschlich. Mit ihrem selbstlosen Einsatz rettete sie vielen das Leben.

Quelle: Barbara Fleischer: “Heldin von Auschwitz”110. Geburtstag am 1. Juli 2024. In: FemBio Frauen. Biographieforschung – Online.

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